Wie ein ukrainischer Pfarrer seiner Gemeinde im Krieg hilft

"Ich bin verantwortlich für die Menschen"

Noch werden russische Truppen auf ihrem Weg in die ukrainische Hafenstadt Odessa blockiert. Trotzdem ist der Krieg dort zu spüren. Pfarrer Alexander Gross über die Ängste der Menschen und seine Pflicht, zu bleiben und zu helfen.

Odessa bereitet sich auf die Abwehr russischer Truppen vor. / © Eurokinissi ("Dein Song für EINE WELT!")

DOMRADIO.DE: Vor zwei bis drei Wochen ist die russische Armee immer weiter entlang der Schwarzmeerküste nach Westen vorgerückt. Was haben die Menschen in Ihrer Stadt gefühlt? 

Alexander Gross (Synodenpräsident der Deutschen Evangelisch-Lutherischen Kirche in der Ukraine, Pfarrer in vier Gemeinden): Ja, das war wirklich eine schreckliche Zeit und viele waren erschrocken und sind nach Moldawien und Rumänien geflohen. Die Menschen, die hier geblieben sind, haben mehr Lebensmittel gekauft, als nötig war, weil sie befürchtet haben, dass es nichts mehr geben könnte. Auch mit den Tankstellen - Benzin oder Diesel - war es schwierig. Die Angst war groß, dass es das alles bald nicht mehr zu kaufen gibt. 

DOMRADIO.DE: Sie leben mit Ihrer Familie in der Nähe von Odessa. Wie nah ist der Krieg momentan an Ihnen dran? Was bekommen Sie davon mit, außerhalb der Medien? Merken Sie das, wenn Sie so auf die Straße gehen? 

Gross: Am Anfang war das sehr merkwürdig - es gab keine Lebensmittel in den Geschäften, kein Mensch war auf der Straße, ganz wenige Autos und viele Flüchtlinge. Schon am 24. Februar gab es bei uns in der Nähe Explosionen. Eine Militärbasis wurde zerstört und ein militärischer Flughafen. Da war schon klar: Der Krieg ist da. Aber die russischen Truppen wurden in der Nähe von Mykolajiw gestoppt - das ist 160 km östlich von Odessa. 

DOMRADIO.DE: Sie haben gesagt, Menschen fliehen. Wie ist das mit Ihnen? Haben Sie schon mal mit dem Gedanken gespielt, die Ukraine zu verlassen?

Gross: Nein, nein. Solche Gedanken kamen mir nicht. Ich könnte das nicht denken. Ich bin Pastor und ich bin verantwortlich für die Menschen - nicht nur für Menschen, die geflüchtet sind, sondern auch für die, die dableiben. Das sind meistens ältere Leute, die zum Beispiel gesundheitlich keine Möglichkeit haben, zu flüchten. Es war von Anfang an klar, dass ich als Pastor da bleibe. Ich werde den Menschen so lange wie möglich weiter dienen und alle mögliche Hilfe organisieren. Meine Frau und meine Kinder haben über eine mögliche Ausreise gesprochen. Wir haben zwei Töchter, beide sind seit dem 26. Februar bei Freunden in Rumänien. Also, meine Töchter sind an einem sicheren Platz. Meine Frau hat gesagt: "Ich bleibe mit Dir hier. Was kommt, das kommt. Wir sind in Gottes Händen."

DOMRADIO.DE: Sie haben gesagt, Sie sind Pastor, allein deswegen ist es für sie gar nicht möglich zu fliehen. Sie helfen also den Menschen. Wie versuchen Sie, für die Menschen da zu sein? 

Gross: Vor allem in den kleinen Dörfern haben die Menschen von Anfang an Probleme, genug Lebensmittel zu bekommen. Ich lebe selbst auch in einer kleinen Gemeinde in der Nähe von Odessa. Dort können die Menschen oft keine Lebensmittel kaufen - höchstens noch mit Bargeld, und davon gibt es wenig. Deshalb haben wir entschieden, dass wir Lebensmittel kaufen - auch in anderen Städten und in Moldawien - und sie an die Menschen verteilen. Das ging auch durch Spenden aus Deutschland.

DOMRADIO.DE: Wie muss man sich das Gemeindeleben bei Ihnen vorstellen? Feiern Sie Gottesdienste? Können Taufen stattfinden oder Hochzeiten?

Gross: Ich bin Pastor von vier Gemeinden. Eine Gemeinde ist seit mehr als einem Monat in besetztem Gebiet. Dort gibt es seitdem keine Gottesdienste mehr. In der Region Odessa feiern wir ganz normal Gottesdienste. Gerade in den Dörfern kommen Menschen zum Gottesdienst, die früher nicht so oft in die Kirche kamen. Sie verstehen, wie wichtig das jetzt ist. Unsere soziale Arbeit - zum Beispiel mit Kindern - ist leider seit dem 24. Februar gestoppt. 

Das Interview führte Tobias Fricke.

Bischof von Odessa: In diesem Krieg sind beide Völker Opfer 

Der römisch-katholische Bischof von Odessa, Stanislaw Schyrokoradjuk, sieht Desinformation der russischen Bevölkerung als eine der Ursachen für die Invasion in der Ukraine. "Wir Ukrainer sind die Opfer des Krieges, das russische Volk ist ein Opfer von Propaganda", sagte der Bischof bei einer Online-Konferenz des katholischen Hilfswerks "Kirche in Not", wie dieses am Donnerstag mitteilte. 

Bischof Stanislaw Schyrokoradjuk (KiN)
Bischof Stanislaw Schyrokoradjuk / ( KiN )
Quelle:
DR