Wie eine Berliner Gemeinde neue kirchliche Angebote testet

"Wir feiern Gottesdienst da, wo die Menschen sind"

Die Gottesdienste werden immer leerer. Jugendliche interessieren sich weniger für Kirche und auch die Älteren bleiben fern. Die frohe Botschaft kommt bei vielen nicht mehr an. Helfen große Events oder kleine Angebote?

Pfarrer Viktor Weber mit dem Kirchenmobil vor dem Gemeindezentrum. / © Pfarrer Viktor Weber (privat)
Pfarrer Viktor Weber mit dem Kirchenmobil vor dem Gemeindezentrum. / © Pfarrer Viktor Weber ( privat )

DOMRADIO.DE: Sie testen eine neue Form von Kirche. Sie sind mit dem Kirchenmobil oder auch der Kirche mobil unterwegs. Was machen Sie da?

Pfarrer Viktor Weber (ev. Kirchengemeinde Berlin Staaken): Ich habe viel Freude an meiner Arbeit und da kommt gern die eine oder andere Idee. So auch diese Sache mit dem Kirchenmobil oder der mobilen Kirche. Die Institution Kirche denkt viel darüber nach, wie sie zu den Menschen kommen kann.  Es setzt ein Umdenken ein.

Der Spandauer Pfarrer Viktor Weber erteilt den Segen in der evangelischen Dorfkirche Alt-Staaken in Berlin am 18.08.19. / © Jürgen Blume (epd)
Der Spandauer Pfarrer Viktor Weber erteilt den Segen in der evangelischen Dorfkirche Alt-Staaken in Berlin am 18.08.19. / © Jürgen Blume ( epd )

Normalerweise ist es so, dass die Kirche ihre Türen öffnet und wartet, bis die Menschen kommen. Wir suchen heute verstärkt nach Möglichkeiten, zu den Menschen hinzugehen. Dafür bietet dieses Kirchenmobil eine gute Möglichkeit. Das ist ein sympathisch auffälliges Fahrzeug, eine dreirädrige Ape. Also schon von sich aus ein Hingucker. Die haben wir etwas umgestaltet und fahren damit an belebte Plätze. Dort bieten wir den Menschen kostenlosen Kaffee, Gespräche und einen Segen an.

DOMRADIO.DE: Wer kommt da hin?

Weber: Das Projekt ist ganz frisch aus der Taufe gehoben. Ich hatte erst zwei Einsätze. Dafür habe ich mir überlegt, wo viele Menschen sind. Das ist bei uns das Gemeindezentrum in Staaken. Dort gibt es donnerstags immer eine Ausgabestelle von "Laib und Seele", also der Berliner Tafel in Kooperation mit der Kirche. Da kommen ganz viele Menschen hin, um günstig Essen zu bekommen.

Weil es eben "Laib und Seele "heißt, hat es sich förmlich angeboten, dort mit unserem kleinen Mobil die ersten Schritte zu gehen. Das heißt, es sind Menschen aus der Umgebung, ziemlich bunt gemischt: Christen, Nichtchristen und Menschen anderer oder ohne Religion.

DOMRADIO.DE: Neben dem Kirchenmobil stoßen sie viele andere Projekte an. Wieso braucht es solche Angebote? Wieso schafft die Kirche es nicht mehr, den guten Glauben, die Frohe Botschaft an die Leute zu bringen?

Weber: Dafür gibt es sicher ganz viele Gründe. Bei uns in der Metropole Berlin ist die Situation, dass die Menschen sich vor Angeboten gar nicht mehr retten können. Es gibt unfassbar viel, was man in seiner Freizeit machen kann. Da ist Kirche nur einer von vielen Playern. Es gibt viele Möglichkeiten, sinnstiftende und sinnvolle Aufgaben zu finden oder den Menschen die Möglichkeit zu geben, über ihr Leben ins Nachdenken zu kommen.

In Berlin muss man sich also schon etwas einfallen lassen, um wahrgenommen zu werden. Solche Aktionen sind dafür günstig. Das Ganze läuft unter dem Überbegriff "Dritte Orte". Das ist Teil der Strategie, die die evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz entwickelt hat. Darunter läuft dieses Projekt. Das heißt, wir feiern Gottesdienst da, wo die Menschen sind. Das muss nicht in einer Kirchengemeinde sein.

DOMRADIO.DE: Sie sind ein kreativer Kopf. Was für Ideen spuken bei Ihnen noch rum?

Weber: Eins nach dem anderen. Ich habe das Glück, in einer Gemeinde Pfarrer zu sein, die sehr offen für Neues ist und gerne Neues ausprobiert. Wir schauen, was gut läuft und was nicht so gut läuft. Wir haben ein großes Team an Haupt- und Ehrenamtlichen. Da kommen viele Ideen zusammen und das ist, wie es mit Ideen häufig so ist: Sie kommen, wenn die Muse einen küsst. Danach legen wir los.

Wir machen auch klassische Angebote. Einmal im Monat findet bei uns immer die "Music and Spirit Night" statt. Das ist ein innovativer, moderner Gottesdienst, den wir ganz frisch aus der Taufe gehoben haben. Da spielt eine Liveband. Es gibt keine Predigt, sondern eine Art Talkshow, in der ich einen Gast interviewe. Das ist etwas Innovatives in unserer Gemeinde, was wir gerade ausbauen. Auf so was würde ich gerne weiter einen Schwerpunkt legen.

DOMRADIO.DE: Werfen wir noch einen Blick in die Glaskugel: Wo ist die Kirche in zehn Jahren?

Weber: Die Kirche, das sind für mich als Erstes die Menschen. Die Menschen werden immer auf der Suche nach Sinn und nach Antworten auf wichtige Fragen sein. Deswegen wird die Kirche immer eine Daseinsberechtigung haben. Die Kirche als verfasste Organisation, die sie eben ist, als der Ort, wo die Pfarrer und Pfarrerinnen, Diakone und Diakoninnen und so arbeiten, die wird sich etwas verschlanken; die wird sich etwas konzentrieren. Sowohl was ihre Aufgaben angeht als auch die Standorte, an denen sie vertreten ist.

Sie wird noch stärker auf die Bedürfnisse der Menschen eingehen müssen und stärker eventorientiert denken. Zum Beispiel haben wir nächstes Jahr das Jahr der Taufe. Da werden wir die Menschen besonders intensiv einladen, sich taufen zu lassen bzw. sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Wir werden dann an offenen Gewässern wie Seen oder an fließenden Gewässern und so weiter Taufen durchführen.

Also das Ganze bekommt einen Eventcharakter. Ich denke, Kirche wird sich in diese Richtung entwickeln, aber trotzdem weiterhin erkennbar sein. Auch ihrer klassischen Formen wird es in zehn, 20, 30, 50 Jahren Kirchen noch geben. Formen, wo man hingehen kann; wo man die Seele baumeln lassen kann; wo man zur Ruhe finden kann.

Das Interview führte Oliver Kelch.

Quelle:
DR