Berge, Wiesen, Fachwerkhäuser – das sauerländische Hallenberg wirkt wie ein Ort aus dem Bilderbuch. Wer in diesen Tagen durch die zweitkleinste Stadt Nordrhein-Westfalens spaziert, trifft ungewöhnlich viele Männer mit langen Bärten und Haaren. Der Grund: Ab Sonntag spielen die Hallenberger – wie alle zehn Jahre – auf ihrer Freilichtbühne das Leiden und Sterben Jesu nach. Seit Ende Februar laufen die Proben, viele Mitspieler lassen sich schon seit Monaten die Haarpracht wachsen.
Nach der Premiere folgen 21 weitere Aufführungen, zu denen insgesamt rund 30.000 Besucher erwartet werden. Bereits jetzt liegen rund 11.500 Kartenbestellungen vor. Zur Saisoneröffnung am Sonntag kommt auch Prälat Thomas Dornseifer vom Erzbistum Paderborn.
Seit 1950
An einem Hang oberhalb des 2.500-Seelen-Orts in einem ehemaligen Steinbruch liegt die Bühne. "Da kommt der Esel hin", sagt Regisseur Uwe Bautz und deutet auf eine Wiese nahe des Theaters. "Und das Pferd. Das brauchen wir ja auch."
Im bis heute katholisch geprägten Hallenberg hat man sich 1950 anlässlich eines vom Papst ausgerufenen Heiligen Jahres versprochen, alle zehn Jahre die Leidensgeschichte nachzuspielen. Eigentlich wäre es 2020 wieder so weit gewesen. Coronabedingt wurde die Aufführung jedoch auf dieses Jahr verschoben.
Mitspielen darf jeder
Wegen seiner Passionsspiele wird das sauerländische Städtchen manchmal auch das "Oberammergau Westfalens" genannt. In dem bekannten oberbayerischen Ort wird ebenfalls alle zehn Jahre das Leiden und Sterben Jesu aufgeführt. Anders als die Oberammergauer spielen die Hallenberger jedoch jeden Sommer Theater. In den passionsfreien Jahren stehen Komödien oder Musicals auf dem Programm.
Mitspielen darf bei der sauerländischen Passion jeder. Auch die Religionszugehörigkeit ist nicht entscheidend. So ist in diesem Jahrauch ein Muslim unter den insgesamt rund 160 Darstellern. Viele von ihnen gehören seit Kindertagen zum Ensemble; teils sind ganzeFamilien dabei. Für die meisten zählt vor allem das Gemeinschaftserlebnis. Geprobt wird an vier Abenden in der Woche.
Jesus zu spielen ist eine Herausforderung
Hauptdarsteller Philipp Mause – mit 32 Jahren im besten Jesus-Alter – gehört seit seinem zweiten Lebensjahr zur Spielschar. "Ich bin schon als Kind im Bollerwagen über die Bühne gerollt worden", erzählt er. 2018 mimte er den Freddy in "My fair Lady", ein Jahr später den Seppel in "Kohlhiesels Töchter".
Vor seiner aktuellen Rolle hat Mause Respekt: "Jesus hat ohne Widerspruch seinen Tod hingenommen. Diese geistige Haltungdarzustellen ist eine Herausforderung." Zur Vorbereitung hat er unter anderem ein Jesus-Buch gelesen. "Das hat mir geholfen zu verstehen, wie die Menschen damals gelebt und gedacht haben."
Vater und Sohn
Mauses Vater Helmut spielt den Hohepriester Kaiphas und ist damit in einer schwierigen Lage: Er muss seinen eigenen Sohn den Römern zur Verurteilung ausliefern. "Das wird mir schwerfallen", meint der 63-Jährige. "Aber auf der Bühne muss man das alles ausblenden."
Regisseur Bautz, der als einziger hier bezahlt wird und zuvor unter anderem an Theatern in Bielefeld und Leipzig tätig war, kam voranderthalb Jahren eigens wegen der Passion nach Hallenberg. "Die Arbeit mit den Laienschauspielern, die tagsüber ganz anderen Arbeiten nachgehen, macht mir Spaß", sagt der 61-Jährige. "Es kommen sehr viel mehr Geschichten der Menschen auf die Bühne." Rund zweieinhalb Stunden soll seine Inszenierung dauern.
Zeitgemäßer denn je
Die Aufführung der biblischen Geschichte hält der Theatermann für zeitgemäßer denn je – und verweist auf die Kriege sowie aufUngerechtigkeit und Hunger in der Welt. "Wir erleben in unserer Gesellschaft eine merkwürdige Zerrissenheit. Da ist es gut, sich wieder in die alten Geschichten zu vertiefen."
Die Textvorlage, die 1980 von einem Hallenberger geschrieben wurde, hat Bautz etwas angepasst. Antisemitische Anspielungen hat ergestrichen. Und die Figur des Judas versucht er neu zu interpretieren: "Ich will ihn nicht als Super-Bösewicht darstellen, der für Geld schlimme Dinge macht, sondern eher als einen ungeduldigen Menschen, der schnell eine politische Entscheidung herbeiführen will. Eine Art verratenen Verräter."