Stolz zeigt Stefan Priester einen langen Tisch im großen Aufenthaltsraum im Zentrum für Arbeitslose in Ratingen. Alle nennen es kurz und knapp "ZAR". Steine purzeln auf das Holz. Männer und Frauen spielen gerade am anderen Ende ein Gesellschaftsspiel. Stefan Priester zeigt, wie er das Möbelstück erweitert hat. Zum runden Holztisch hat er einen abgerundeten Beistelltisch gebaut, der sich genau in die Rundung einpasst. "Wir brauchten ihn dringend, weil wir eine große Gruppe sind. Da klaffte immer eine große Lücke. Rund auf Viereckig passt nicht", erklärt er während die Gruppe im Hintergrund zockt.
"Mädchen für alles" in der Sozialeinrichtung
Stefan Priester, 55, ist, wie er selber sagt, das "Mädchen für alles" und arbeitet ein paar Tage die Woche in der Einrichtung in Ratingen – ehrenamtlich. Er hilft und steht denen zur Seite, die finanzielle Sorgen haben und arbeitslos sind und ist für die da, die dasselbe Schicksal teilen. Stefan Priester ist Langzeitarbeitsloser – einer von rund 300.000 Menschen in Nordrhein-Westfalen. Sie sind länger als ein Jahr ohne Beschäftigung.
Dabei hat bei Priester alles ganz normal begonnen. Als junger Mann hat er sich für die Ausbildung als Betriebsschlosser entschieden. Er arbeitete in handwerklichen Betrieben. Doch Konkurse der Firmen trieben Stefan Priester immer wieder in die Arbeitslosigkeit. Zuletzt war er 2011 für eine Schlosserei angestellt. Ein großer Auftrag fiel weg. Das Unternehmen strich Arbeitsplätze. Darunter auch den von Priester. Er landet abermals in der Arbeitslosigkeit.
Die Arbeitsagentur vermittelte ihn an eine Zeitarbeitsfirma. Für Stefan Priester ging es von da an bergab. "Ich wurde von Zeitarbeitsfirma zu Zeitarbeitsfirma weitergereicht", erklärt Priester. Mittlerweile zählt er sieben Zeitarbeitsfirmen, für die er gearbeitet hat. "Die Arbeitsangebote, die ich da bekomme, sind zu 95 Prozent von Leiharbeitsfirmen. Da fühlt man sich schon abgestempelt", sagt der Hartz-IV-Empfänger.
Prinzip hinter dem System?
Zeitarbeiter wechseln ständig den Arbeitsort. Sie werden eingesetzt, wo Not am Mann ist. Priester vermutete ein Prinzip dahinter, dass er von der Arbeitsagentur immer wieder dorthin vermittelt wird.
Doch es stimmt nicht, dass die Jobcenter Langzeitarbeitslose nur noch in die Zeitarbeit vermitteln, sagt Christoph Löhr von der Arbeitsagentur in NRW gegenüber domradio.de. Weniger als drei Prozent aller Beschäftigten in NRW und in der Bundesrepublik arbeiteten in Zeitarbeit. Das bedeute, dass der Bereich der Zeitarbeit nicht die große Rolle spiele.
Für den Arbeitsagentur-Sprecher Löhr ist Zeitarbeit aber auch ein Weg, um ins Berufsleben zurückzufinden. Die aktuellsten Zahlen in Deutschland aus dem Jahr 2015 zeigten, dass 30 Prozent der Zeitarbeiter nach drei Monaten in eine Nicht-Leiharbeit übergangen seien. "Dass so viele Menschen den Sprung aus der Zeitarbeit in normaltypische Arbeit finden, zeigt, dass Zeitarbeit ein Instrument ist, um ins Berufsleben zurückzufinden", sagt der Sprecher.
Billige Arbeitskraft?
Doch für Stefan Priester sah die Realität anders aus, er fand dort keine Anstellung. Er fühlt sich - im Gegenteil - ausgenutzt. "Ich bin für die Firmen eine billige Arbeitskraft gewesen. Wenn Sie dann für den Mindestlohn arbeiten müssen, dann fühlen Sie sich verarscht", sagt Priester verärgert.
Und es gebe ein weiteres Problem, findet er. Viele Facharbeiter seien in den Zeitarbeitsfirmen "kaputt gemacht" worden. Viele Facharbeiter, die Priester kennt, arbeiten mittlerweile nicht mehr in ihrem Fach, weil sie jahrelang in der Zeitarbeitsfirma etwas anderes gemacht hätten. Sie seien im Sinne von der Arbeitsagentur und den Unternehmen nicht mehr als Facharbeiter eingestuft. "Ich bin schon mehr als zwei Jahre aus meinem Beruf raus. Aber wenn sie zwei Jahre raus sind, dann gelten sie schon nicht mehr als Facharbeiter. Ich bin nur noch ein Helfer", erklärt Priester.
Keine Absagen auf Bewerbungen
Stefan Priester ist frustriert. Unzählige Bewerbungen liegen hinter ihm. Meist kommen nicht einmal Absagen. Mit über 50 sinkt die Hoffnung auf einen Arbeitsplatz. "55 heißt Alteisen. Das heißt: Der ist nicht schnell genug, der ist zu teuer. Dass der Berufserfahrung hat, das interessiert die nicht", so Priester.
Sein Alter bringt ihm noch ein weiteres Hindernis. Im vergangenen Jahr bemerkte er Beschwerden. Seine Hände wurden taub, schmerzten. Stefan Priester sieht man sein Leiden nicht an. Doch das, was ihn dort plagt ist das Karpaltunnelsyndrom. Die Sensibilität der Hand nimmt ab, feinmotorische Aufgaben, wie Knöpfe schließen, werden schwieriger, die Hand wird ungeschickter. Für den gelernten Handwerker ist die Diagnose ein Schock.
Arbeit statt Geld
Wohlfahrtsverbände in Nordrhein-Westfalen fordern mehr politisches Engagement für Langzeitarbeitslose. Eine geförderte Beschäftigung sei die Lösung. "Warum lassen wir die Menschen nicht arbeiten, anstatt sie mit ALGII-Leistungen finanziell zu unterstützen", sagt Robert Wierichs vom Sozialdienst Katholischer Frauen in Ratingen. Er kennt Stefan Priester persönlich und ist betroffen über sein Schicksal. Er schätzt Priesters Hilfsbereitschaft und dass er sich so in seiner Einrichtung einsetzt.
Trotzdem würde er ihm aber eine langfristige Beschäftigung wünschen. So auch vielen anderen Langzeitarbeitslosen. Trotz sinkender Arbeitslosigkeit ist die Zahl der Langzeitarbeitslosen seit Jahren kaum rückläufig, beklagt er. "Leider stagniert die Arbeitsmarktpolitik für Langzeitarbeitslose", so Wierichs. Die zurzeit zur Verfügung stehenden Mittel für Förderung und Qualifizierung reichten bei weitem nicht aus. Er plädiert dafür, das Arbeitslosengeld II in die Hand zu nehmen und damit sozialversicherungspflichtige Arbeit für arbeitsmarktferne Menschen zu bezuschussen.
Gebraucht und nützlich
Solange die politischen Diskussionen laufen und Stefan Priester keinen Job findet, gibt ihm das Zentrum für Arbeitslose in Ratingen Halt. Zu Hause fällt im die Decke auf den Kopf. "24 Stunden zuhause und das jede Woche, das klappt nicht." Jetzt fühlt sich Priester gebraucht und nützlich. Wie viele Jahre er schon hier ist, kann er gar nicht mehr nachrechnen. Lange. Immer, wenn es wieder in die Arbeitslosigkeit ging, kam er zurück. Hier werde er gebraucht. "Wenn irgendwas nicht klappt, dann versuche ich das gerade zu biegen", sagt er selbstsicher. Das kann ein streikender Drucker sein, oder jemand, der verzweifelt in das Zentrum kommt und nicht weiter weiß.
Hoffnung noch nicht aufgegeben
Geld bedeute ihm nicht viel. "Ich bin Minimalist und komme mit wenig aus", sagt er. Er habe mal 120 Euro zum Leben gehabt. Das habe gereicht. "Da habe ich mich nur von Milch und Müsli ernährt." Wichtig ist ihm, gebraucht zu werden, zu arbeiten. "Ich suche etwas Handwerkliches. Ich löse jeden Tag gerne Probleme. Das wissen die auch hier." Hausmeistertätigkeiten kann er sich vorstellen. Aber nicht nur er – auch die Bekannten aus der sozialen Einrichtung. Er hat die Hoffnung auf eine Arbeit noch nicht aufgegeben.