Wie funktionieren geistliche Gruppenprozesse?

"Das Bessere für alle"

Es ist das erste Treffen des Synodalen Ausschusses seit der Weltsynode. Doch bevor es losgeht, steigen die Geistlichen Begleiter aus. Unter welchen Bedingungen kann geistliche Gruppenbegleitung überhaupt gelingen? Und was ist das Ziel?

Autor/in:
Elena Hong
Synodalkreuz beim Synodalen Weg / © Julia Steinbrecht (KNA)
Synodalkreuz beim Synodalen Weg / © Julia Steinbrecht ( KNA )

DOMRADIO.DE: Papst Franziskus hat sich ausdrücklich eine "ignatianische geistliche Prozessbegleitung" im Synodalen Ausschuss gewünscht. Was ist das Ziel einer solchen Begleitung?

Stefan Kiechle (KNA)
Stefan Kiechle / ( KNA )

Pater Stefan Kiechle SJ (früherer Leiter der Deutschen Provinz des Jesuitenordens, Delegat für Ignatianische Spiritualität und Chefredakteur der Jesuitenzeitschrift "Stimmen der Zeit", selbst langjähriger Exerzitienbegleiter): Das Konzept der geistlichen Begleitung kommt zunächst aus der Begleitung einzelner Menschen, die durch regelmäßige Gespräche darin befähigt und unterstützt werden, ihren Weg zu Gott zu finden. Es geht darum, auf Gott zu hören und seinen Lebensweg mit Gott zu suchen, durch Austausch und Gebet. 

Dieses Konzept hat man vor Kurzem wiederentdeckt und auf Gruppen und Gremien angewandt. Deswegen spricht man von geistlicher Gruppenbegleitung. Gerade für synodale Gremien, die gemeinschaftlich den Willen Gottes suchen und sich vom Geist leiten lassen wollen, ist eine solche Begleitung sehr hilfreich. 

DOMRADIO.DE: Inwiefern? Die Erfolge einer geistlichen Begleitung lassen sich weder messen noch kann man sie sehen... 

Pater Kiechle: Mitglieder von Gremien vertreten Interessen, ganz ähnlich wie das in Parlamenten oder weltlichen Gruppen der Fall ist. Diese Interessen werden eingebracht, diskutiert und dann beginnt im günstigsten Fall die Suche nach Kompromissen. Im ungünstigen Fall setzen sich die Lautstärksten durch oder eben die Mehrheit. Dann sind einige unzufrieden, aber man kommt irgendwie zu Lösungen. 

Beim geistlichen Prozess einer Gruppe, die sich auf die Stimme Gottes einlassen will, geht es darum, dass sich alle einbringen dürfen, dass alle aufeinander hören, dass man das Gehörte ins Gebet bringt und versucht wahrzunehmen, was das Bessere für alle sein könnte. Was gibt der Geist Gottes einem, was Gott letztendlich will? Das ist das Ziel, und die geistliche Begleitung hilft dem Gremium dabei, dass diese geistliche Dimension drin bleibt und ihren Platz bekommt. 

Pater Kiechle

"Beim geistlichen Prozess einer Gruppe, die sich auf die Stimme Gottes einlassen will, geht es darum, dass sich alle einbringen dürfen."

DOMRADIO.DE: Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit so eine geistliche Begleitung funktionieren kann? Wie entsteht diese Kultur des gemeinsamen Beratens? 

Pater Kiechle: Die erste Bedingung ist, dass sich alle Teilnehmer in dem Gremium auf einen solchen Prozess einlassen; die Entscheidung wirklich hören zu wollen, was das Bessere für alle ist und nicht das Eigene durchzusetzen, was man vorher schon weiß und meint. 

Und dann braucht es - ignatianisch würde man sagen - "Indifferenz". Dabei macht man sich innerlich frei von Vorurteilen, von vorab festgelegten Optionen und öffnet sich für etwas etwas Neues. Das sind die wichtigsten Voraussetzungen - klingt einfach, aber ist etwas sehr Hohes und Anspruchsvolles.

DOMRADIO.DE: Reicht es, wenn man den Tag mit einer gemeinsamen Besinnung anfängt und zum Schluss ein Vaterunser betet? Oder wie sieht die praktische Umsetzung aus? 

Pater Kiechle: Gut wäre es, wenn die Mitglieder des Gremiums vorher wissen, was erwartet wird und bereit sind, sich darauf einzulassen. Man kann durch einen persönlichen geistlichen Weg auch die eigene Bereitschaft zu einem solchen Prozess stärken und sich indifferenter machen, indem man sich fragt: Bin ich bereit, auf den Geist zu hören, der mir vielleicht etwas sagt, das mir nicht gefällt oder was ich vorher anders dachte? Bin ich bereit, dann da auch zuzustimmen und mitzugehen?

DOMRADIO.DE: Es ist also eine freiwillige Entscheidung jedes Einzelnen, die man nicht erzwingen kann.

Pater Kiechle: Richtig, zu einem synodalen Weg gehört, dass man sich nur mit so einer Vorbildung darauf einlässt, sonst hat es wenig Sinn. 

DOMRADIO.DE: Welche Rolle nimmt der geistliche Begleiter im Prozess ein? Wie stark darf sie oder er in Diskussionen eingreifen?

Pater Kiechle: Geistliche Begleitung in synodalen Gremien ist etwas Neues. Das muss man mit den Leuten vor Ort ausprobieren und daraus lernen. Die Rolle muss sich also erst noch entwickeln. Man kann sie im Vorfeld nicht genau festlegen. Ich glaube, der Konflikt im Synodalen Ausschuss ist der Effekt von so einem Lernprozess, dass es da noch Unstimmigkeiten und Unklarheiten in der Rolle gab. 

Wichtig ist aus meiner Sicht, dass man zwischen geistlicher Begleitung und Moderation unterscheidet. Die Moderation ist zuständig für die Gesprächsführung, die schaut, dass alle drankommen, dass man beim Thema bleibt, die Ergebnisse nachhaltig zusammenfasst, dass man zu Einigungen kommt. 

Die geistliche Begleitung liegt bei Personen, die darauf achten, dass diese geistliche Perspektive gewahrt bleibt. Die geistliche Begleitung macht auch mit - sie kann im Gesprächsprozess intervenieren. Das ist beim Synodalen Ausschuss auch so vorgesehen. Die Frage ist, wie stark sie interveniert, wann und wie, und ob dabei irgendwelche Leute abgewürgt werden. Das ist eine heikle Gratwanderung. Das muss austariert werden. Offensichtlich gab es da Probleme. Aber was genau vorgefallen ist, weiß ich nicht, ich war nicht dabei.

Pater Kiechle

"Die geistliche Begleitung macht mit - sie kann im Gesprächsprozess intervenieren. Das ist beim Synodalen Ausschuss auch so vorgesehen."

DOMRADIO.DE: Wie geht man mit solchen Konflikten in geistlichen Prozessen um? Welche Möglichkeiten gibt es, aus einer festgefahrenen Situation wieder herauszukommen? 

Pater Kiechle: Sinnvoll ist, dass man sich zusammensetzt, dass man die Emotionen abkühlen lässt und noch mal einander zuhört. Was habt ihr für Erwartungen? Was haben wir für Erwartungen? Welche Methoden und Strukturen sind sinnvoll bei dieser Art von Prozess? Und dass man dann versucht, sich auf einen mittleren Weg zu einigen, bei dem niemand seine Maximalforderungen durchsetzt. Man muss miteinander reden und in den Dialog kommen, sonst geht es nicht. 

DOMRADIO.DE: Manchmal hat Reden keinen Sinn. Auf der Seite der Begleitenden ist beispielsweise der Eindruck entstanden, ihre Mitwirkung sei nicht länger erwünscht. Wann ist der Punkt erreicht, zu gehen?

Pater Kiechle: Wenn diese Vorgabe eines geistlichen Prozesses mit ignatianischen Ideen dahinter abgelehnt wird. Wenn Leute definitiv sagen, so will oder kann ich das nicht. Dann ist es vielleicht besser, sich zu trennen. 

Pater Kiechle

"Dann ist es vielleicht besser sich zu trennen." 

DOMRADIO.DE: Igna Kramp und Peter Hundertmark, die ausgestiegene geistliche Begleiterin bzw. Begleiter auf dem Synodalen Weg, sind auf dem Gebiet der geistlichen Begleitung renommierte Fachleute. Kann jeder gläubige Katholik, jede Katholikin ein geistlicher Prozess-Begleiter sein? Oder braucht es dazu eine spezielle Qualifikation? 

Pater Kiechle: Es gibt Ausbildungen für geistliche Begleitung von Einzelnen und auch für geistliche Begleitung von Gruppen. Diese haben den Sinn, dass man ein Gespür entwickelt, wie Gruppenprozesse funktionieren und wie man die sinnvoll begleitet. 

Bei einem so komplexen Gremium wie dem Synodalen Ausschuss ist es sinnvoll, dass Begleiter gut ausgebildet sind und Erfahrung mitbringen. Und es sollten Externe sein, keine Mitglieder des Gremiums, so wie das im Synodalen Ausschuss nun entschieden worden ist.

Das Interview führte Elena Hong.

Die Kommissionen im Synodalen Ausschuss

Der Synodale Ausschuss hat drei Kommissionen aus jeweils zehn Mitgliedern bestimmt. Wer sitzt in dem Gremium, das auch entscheiden soll.

Zweite Sitzung des Synodalen Ausschusses, am 14. Juni 2024 in Mainz / © Angelika Zinzow (KNA)
Zweite Sitzung des Synodalen Ausschusses, am 14. Juni 2024 in Mainz / © Angelika Zinzow ( KNA )
Quelle:
DR