Würde Franziskus in die Ukraine reisen - jetzt? Nicht nur italienische Medien debattieren die Frage derzeit intensiv, nachdem Präsident Wolodymyr Selenskyj das Kirchenoberhaupt erneut in sein Land eingeladen hat. Die meisten Beobachter halten eine Reise des Papstes nach Kiew für sehr unwahrscheinlich, andere nicht für ausgeschlossen.
So verweisen einige auf Franziskus' Hartnäckigkeit bei seiner Reise in die Zentralafrikanische Republik im November 2015. Damals habe er Sicherheitsbedenken schlichtweg ignoriert. Nach dem beeindruckenden Solidaritätsbesuch der Regierungschefs aus Polen, Tschechien und Slowenien in Kiew wäre ein Besuch des Papstes eine Sensation.
Kiew ist nicht Bangui
Allerdings: Kiew ist nicht Bangui. Dort gab es einen begrenzten Bürgerkrieg, keine atomare Supermacht, die ein anderes Land überfiel und sich gegenüber dem Rest der Welt isolierte. Die militärische wie diplomatische Brisanz war wesentlich geringer. In den Irak reiste Franziskus erst, nachdem internationale Sicherheitsexperten ihr Okay gegeben hatten. Aus ähnlichen Gründen steht der Libanon-Besuch noch aus. Und so schickt Franziskus lieber seine Kardinäle in die Ukraine oder in die Nachbarländer.
Im Übrigen würde eine Reise des Papstes - ob nach Kiew, Lwiw oder zumindest an die ukrainische Grenze - die Chancen auf eine offizielle Vermittlung des Vatikan deutlich verringern. Von einer solchen ist der Heilige Stuhl zwar noch ein Stück entfernt.
Dennoch twitterte Selenskyj nach dem erneuten Telefonat mit Franziskus hoffnungsvoll: "Eine vermittelnde Rolle des Heiligen Stuhls bei der Beendigung des menschlichen Leidens wäre zu begrüßen." Ob der Vatikan dies offiziell tun kann und wird, steht dahin. Aber immerhin hatte auch die russische Seite zuvor mitgeteilt, dass sie die diplomatischen Signale des Vatikan zur Kenntnis genommen habe.
Kardinal Pietro Parolin als päpstlicher Chefdiplomat hat diese Bereitschaft mehrfach bekräftigt. In diplomatischen Kreisen ist man allerdings skeptisch, ob Moskau dies zuließe. Vor allem die russisch-orthodoxe Kirche täte sich schwer, den in ihren rechts-traditionalistischen Kreisen als "Häretiker" betrachteten Papst über den Patriarchen hinweg vermitteln zu lassen. Sogar Kyrill I. musste sich vor seinen eigenen Leuten dafür rechtfertigen, dass er Videotelefonate mit dem "Römischen Papst" und dem anglikanischen Erzbischof von Canterbury führte.
Diplomatisch-seelsorglichen Spagat
Und so wird Franziskus seinen diplomatisch-seelsorglichen Spagat weiter aushalten müssen: Solidarität und Mitgefühl mit den Menschen in der Ukraine plus Verurteilung der Gewalt auf dem einen Bein - und auf dem anderen Bein Gesprächsbereitschaft und Offenhalten der Türen nach Moskau. Bisher scheint ihm dies zu gelingen - wie die Reaktionen aus Kiew wie auch aus Moskau zeigen.
Schon vor dem Überfall der russischen Armee auf die Ukraine hatte Franziskus vor Krieg gewarnt und den Aufmarsch entlang der Grenze verurteilt. Seither verschärft er seine Worte. Von Mal zu Mal in den vergangenen Wochen hat der Papst die Gewalt, das Unrecht des Angriffs und das Leid der Menschen deutlicher und drastischer benannt. Wen er nicht namentlich nennt - als Element seines Spagats -, sind Russland und Präsident Putin. Dabei ist überdeutlich, wen er meint.
Parallel sind seit Wochen diplomatische und ökumenische Experten des Vatikan aktiv. Gleich zu Beginn des Krieges hatte Rom persönlich sowie über die Nuntiatur in Moskau Kontakt mit dem Patriarchat aufgenommen. Einige Zeit später griff Kyrill das Angebot auf; es kam zu dem überraschende Videogespräch vor einer Woche. Dabei redete Franziskus Klartext, und erinnerte auch an das Leid der russischen Soldaten, die verheizt werden.
Bußgottesdienst im Petersdom
Eine Art päpstlicher Vermittlung ist auch der Bußgottesdienst am Freitag im Petersdom. Dabei will das katholische Kirchenoberhaupt im Ukraine-Krieg himmlische Vermittlung anrufen. In einem feierlichen Akt will er "die Menschheit, insbesondere Russland und die Ukraine, dem Unbefleckten Herzen Mariens weihen".
Im Kern ist dies ein Reue- und Fürbittgebet an die Gottesmutter Maria. Die Menschheit als ganze möge Reue zeigen, dass sie aus der Geschichte nicht gelernt habe.
Gleichzeitig will der Papst Maria bitten: "Befreie uns von Krieg, bewahre die Welt angesichts der nuklearen Bedrohung."
Anders als zum Beginn der Pandemie, als Franziskus im März 2020 allein im Regen auf dem Petersplatz betete, sollen sich diesmal möglichst viele Gläubige anschließen. Weswegen er in einem Brief alle Bischöfe weltweit bittet, sich ihm bei diesem "Akt der Weltkirche" anzuschließen.
In dem ergreifenden Text des eigens dazu verfassten "Weihegebets" vermeidet der Papst Schuldzuweisungen. Vielmehr denkt er - wie übrigens auch ukrainische Bischöfe - bereits an die Zeit nach dem Krieg, wenn Ukrainer und Russen wieder als Nachbarn miteinander leben werden.