DOMRADIO.DE: Was war Gorbatschow für ein Mensch? Wie haben Sie ihn persönlich bei Ihren Begegnungen erlebt?
Matthias Kopp (Sprecher der Deutschen Bischofskonferenz): Ich hatte die großartige Gelegenheit, ihn mehrfach in Deutschland zu treffen, natürlich nach seiner aktiven Amtszeit. Und er war einfach jemand, der unglaublich gut zuhören konnte, der sich für den anderen interessierte und der – das ist wohl biografisch bedingt – immer auch ein großes Interesse an dem hat, was Kirche macht. Ein Zuhörer, der auch sehr überzeugt davon war, was er für die Geschichte in Europa geleistet hat.
DOMRADIO.DE: Für Ihr Buch "Und plötzlich Papst" zum 80. Geburtstag von Benedikt XVI. haben Sie Michail Gorbatschow gewinnen können, einen Beitrag zu schreiben. War das schwierig?
Kopp: Ich habe den Ex-Präsidenten angeschrieben, sein Büro, weil ich dort jemanden kannte und er hat sofort geantwortet, – persönlich – dass er den Beitrag schickt. Er hat ihn auf kyrillisch geschickt. Das musste ich erst übersetzen lassen.
Das ist ein ganz bewegendes Zeugnis, weil er damals schrieb, dass er Benedikt XVI. nie persönlich erlebt habe, aber beeindruckt sei von seiner Persönlichkeit, wie er die Jugend begeisterte und sich eben auch politisch engagierte.
DOMRADIO.DE: Gorbatschow erzählt in diesem Text, dass er in der damaligen Sowjetunion in der Schule atheistisch aufgewachsen sei. Religion hat da eher zu den Feindbildern gehört. Doch erzählt er auch anrührend von seiner gläubigen Großmutter. Wie ging das für ihn zusammen?
Kopp: Seine Großmutter scheint ihn sehr geprägt zu haben. Und Gorbatschow als strammer Kommunist war natürlich jemand, der Religion aus dem Leben ausblendete. Umso wichtiger war für ihn, schon in der Phase von Glasnost und Perestroika auch Kontakt zur russisch-orthodoxen Kirche aufzunehmen. Noch heute wissen die Kirchen zu berichten, dass sie mit dem Fall des Eisernen Vorhangs ein völlig neues Verhältnis zur Politik entwickeln konnten und die Politik zur Kirche. Das ist Gorbatschow in jedem Fall zu verdanken.
DOMRADIO.DE: Und im Haus der Großeltern hing Stalin neben der Muttergottes.
Kopp: Ja, das passt in diesen Ländern zusammen. Wenn man sich die Biographie von Stalin anschaut: Ein gebürtiger Georgier, vergegenwärtigt, der zunächst mal das Priesterseminar von Tiflis besuchte, um Priester zu werden, nachher aber der schlimmste Schlächter in der Weltgeschichte wurde. Das ist nicht ganz untypisch für die Länder, dass man in der Sowjetunion unter dem Radar versuchte, das zu leben, und dann die Muttergottes eben neben Stalin stand.
DOMRADIO.DE: Gorbatschow hatte auch ein sehr gutes Verhältnis zu Johannes Paul II.. Mit ihm hatte er auch politisch zu tun und hat ihn mehrmals getroffen.
Kopp: Diese Treffen sind historisch und stehen letzten Endes auch dafür, dass Gorbatschow sich überzeugen ließ von dem, was Papst Johannes Paul II. mehrfach sagte, dass Europa "mit zwei Lungenflügeln" atmet, das berühmte Bild von Johannes Paul II. zu Ost und West.
In der postsowjetischen Zeit haben sich die beiden mehrfach getroffen, auch als Gorbatschow nicht mehr im Amt war. Johannes Paul II. sagte immer wieder, auch 1996 bei seinem historischen Besuch in Berlin am Brandenburger Tor, dass ohne solche bedeutenden Persönlichkeiten wie Gorbatschow die Welt sich nicht so positiv hätte verändern können.
DOMRADIO.DE: Welches Verhältnis hatte Gorbatschow zu Benedikt XVI.?
Kopp: Eben eines, dass die beiden sich nie getroffen haben, was jedoch ein großer Wunsch war. In dem Beitrag in meinem Buch schrieb er, dass er ihn hoch anerkennt für das, was er eben leistete, weltweit als Papst.
Verschiedene Delegationen der russischen Regierung waren in der Post-Gorbatschow Zeit immer wieder auch im Vatikan. Es ist ihm nicht vergönnt gewesen, Benedikt XVI. zu treffen, aber er hat ihn auch als Staatsmann und Religionsführer geschätzt.
DOMRADIO.DE: Gorbatschow hatte also großen Respekt vor der Kirche und auch vor der wichtigen Rolle, die die Kirche in der Politik spielt. Aber ob er ein gläubiger Mensch war, das ist wahrscheinlich schwer zu sagen, oder?
Kopp: Das ist wirklich schwer zu sagen. Wir haben bei den Begegnungen, die ich in den 2000er Jahren mit ihm hatte, immer wieder über Religion gesprochen. Aber ganz bin ich nicht durchgedrungen, ob er auch ein gläubiger Mensch war. Im letzten vielleicht doch, aber nicht offensichtlich.
DOMRADIO.DE: Mit sehr großer Sorge wird Gorbatschow aber sicher die aktuellen Entwicklungen in seinem Land beobachtet haben. Gibt es da Äußerungen zum Beispiel zu Putin von ihm oder zum Angriffskrieg auf die Ukraine?
Kopp: Um Gorbatschow ist es ja in den letzten Jahren aufgrund seiner schweren Krankheit sehr ruhig geworden und es gibt keine Äußerung von Gorbatschow zum Angriffskrieg Putins auf die Ukraine. Gorbatschow selbst ist innerhalb Russlands hoch umstritten, bis letzten Endes auch zu seinem Tod, weil viele Russen meinen, er hätte mit dem Zerfall der Sowjetunion vieles vom Wohlstand der Sowjetunion genommen.
Man hatte eine Art Deal. Er hält sich innenpolitisch zurück, und Russland hält sich gegenüber Gorbatschow zurück. Und so hat man von ihm leider wenig gehört. In den anderen Ex-Sowjetrepubliken, den kaukasischen Staaten, den estnischen Staaten wird Gorbatschow natürlich als großer Held gefeiert, weil er diesen Ländern die Freiheit gebracht hat.
Das Interview führte Dagmar Peters.