Wie Rosa Chávez weiter für ein freies El Salvador kämpft

Kardinal mit klarer Kante

Die nationale Bischofskonferenz hält sich mit Kritik am autoritären Präsidenten El Salvadors auffällig zurück. Kardinal Gregorio Rosa Chávez redet unterdessen Klartext, bestärkt und gefördert vom Lateinamerika-Hilfswerk Adveniat.

Autor/in:
Hilde Regeniter
Kardinal Rosa Chávez vor einem Bild Óscar Romeros / © Matthias Hoch (Adveniat)
Kardinal Rosa Chávez vor einem Bild Óscar Romeros / © Matthias Hoch ( Adveniat )

Er spricht leise, nuschelt sogar ein wenig. Aber wenn es um den Zustand seines Heimatlandes El Salvador geht, nimmt Kardinal Gregorio Rosa Chávez kein Blatt vor den Mund: "Wir haben längst eine Diktatur. Es gibt keine Freiheit und wer sich zur Wehr setzt, wird zerstört – vor allem über die sozialen Netzwerke."

Davon kann der heute 82-Jährige ein Lied singen. Weil der emeritierte Weihbischof der Hauptstadt San Salvador den amtierenden Präsidenten Nayib Bukele immer wieder offen kritisiert hat, ist er auf den Social-Media-Kanälen immer wieder mit heftigen Shitstorms angegriffen worden. Kein Wunder, denn Bukele, gerade einmal 43 Jahre alt, inszeniert sich nicht nur gern als smarter Typ mit Hipsterbart und Rapperkappe; als Sohn eines Werbeagentur-Besitzers beherrscht er auch die Sprache der digitalen Welt perfekt und dirigiert seine vielen Follower virtuos, ob nun bei Instagram oder X, YouTube oder TikTok. 

Kardinal Gregorio Rosa Chávez / © Stephan Neumann (Adveniat)
Kardinal Gregorio Rosa Chávez / © Stephan Neumann ( Adveniat )

Kardinal Rosa Chávez nennt die massive Online-Präsenz des Präsidenten eine "öffentliche Propaganda, die auf so vielen Wegen so komplex und so wirksam arbeitet". Als wirksam, als effizient will Bukele denn auch wahrgenommen werden; als Mann nämlich, dem es gelungen ist, ein seit langem von Gewalt zerfressenes Land endlich zu befrieden.

Heute kann man auf den Straßen flanieren

Tatsächlich hat er es in wenigen Jahren geschafft, die Mordrate in El Salvador von der höchsten der Welt auf eine der niedrigsten in Lateinamerika zu drücken. Während äußerst brutale Jugendbanden, die Maras, das Land jahrzehntelang terrorisierten, komplette Stadtviertel dominierten und öffentliches Leben fast unmöglich machen, flanieren heute ganze Familien spätabends auf den Straßen. Dass das viele Salvadorianer schwer beeindruckt und erleichtert und dem Präsidenten hohe Zustimmungsraten von weit über 80 Prozent beschert hat, versteht auch Kirchenmann Rosa Chávez: "Natürlich ist es gut, dass sich die Menschen im Land wieder frei bewegen können. Das stimmt, das ist schön. Aber der Preis dafür ist einfach zu hoch."

Denn Bukele hat mit seiner Politik der harten Hand nicht nur Zehntausende Bandenmitglieder festsetzen lassen, sondern nach übereinstimmenden Berichten nationaler und internationaler Menschenrechtsorganisationen auch Zigtausende Unschuldiger in die Gefängnisse sperren lassen. Dass heute ein Prozent der Gesamtbevölkerung inhaftiert ist – so viele wie nirgends sonst auf der Welt – ist die Konsequenz des Ausnahmezustands, den Bukele im März 2022 verhängt und im November gerade zum 32. Mal verlängert hat. 

Nayib Bukele (M., l), Präsident von El Salvador, winkt Anhängern zu / © Prensa Presidencia (dpa)
Nayib Bukele (M., l), Präsident von El Salvador, winkt Anhängern zu / © Prensa Presidencia ( dpa )

Macht doch dieser Ausnahmezustand willkürliche Verhaftungen und Untersuchungshaft bis zu vier Jahren möglich, ohne Beweise, ohne stichhaltige Zeugenaussagen, ohne Einspruchsmöglichkeiten. "Deshalb tragen die Menschen eine ständige Furcht im Herzen; sie wissen, dass niemand sicher ist. Deshalb sieht es nach außen gut aus, ist es aber in Wirklichkeit nicht", erklärt Rosa Chávez.

Nur mit Unterwäsche bekleidet und gedemütigt

Bukele hat 2021 mit dem Hochsicherheitsgefängnis CECOT die größte Justizvollzugsanstalt Lateinamerikas bauen und dann später Fotos inhaftierter von Kopf bis Fuß tätowierter Bandenmitglieder in demütigenden Posen veröffentlichen lassen - nur mit Unterwäsche bekleidet, mit kahl rasierten Schädeln. Die meisten der im Ausnahmezustand Festgenommenen sitzen allerdings in den vielen anderen Gefängnissen des Landes ein, unter völligem Ausschluss der Öffentlichkeit. 

Vor Bukeles Zeiten, erzählt der Kardinal, habe er jedes Jahr am Tag des Gefangenen eine Messe mit Insassen gefeiert. "Jetzt lassen sie mich nicht mehr rein, sie erlauben keinen religiösen Beistand im Gefängnis, auch keinen anderen Beistand." Was ihn besonders bewegt, ist, dass die Angehörigen oft nichts von ihren gefangenen Kindern hören, wochen- und monatelang in totaler Ungewissheit ausharren und im Extremfall dann die Nachricht bekommen, ihr Sohn, ihre Tochter sei leider in der Haft verstorben.

"Das ist alles total unmenschlich. Und mit dieser Formel wollen sie sozialen Frieden erreichen", sagt Gregorio Rosa Chávez und seufzt. In seinem langen Leben hat er viel Leid gesehen in diesem kleinsten Land Mittelamerikas. Er war ein Freund und Mitarbeiter des 2018 heiliggesprochenen Erzbischofs von San Salvador, des Befreiungstheologen Oscar Romero, den die damalige rechtsgerichtete Militärjunta 1980 von einem Scharfschützen am Altar liquidieren ließ, als er gerade in einer Krankenhauskapelle Messe feierte.

Blut, Krieg, Massaker

Es folgten zwölf Jahre eines blutigen Bürgerkriegs mit vielen Massakern an der Zivilbevölkerung. Die Verheißungen des Friedensabkommens von 1992 und die folgenden Regierungen wurden dann schnell überschattet vom Problem der Bandenkriminalität – und von Korruption. Und dass sich jetzt der Bukelismus so brachial Bahn bricht, ist in den Augen des Kardinals eine direkte Folge der langen Leidensgeschichte des salvadorianischen Volkes. "Wir hatten in El Salvador nie eine wirkliche Demokratie; so wissen die Menschen nicht, was es bedeutet, Demokratie zu leben und was ihnen jetzt fehlt." 

Besonders sorgt Rosa Chávez sich um die jungen Leute im Land; schließlich können sie jederzeit im Gefängnis landen – einfach nur, weil sie jung sind. "Das treibt manche von ihnen in falsche Lösungen: Sie beschäftigen sich nur noch mit ihren Handys, nehmen Drogen, versinken in Vergnügungssucht oder totalem Pessimismus."

Was also tun? Auf den Beistand seiner Amtsbrüder der nationalen Kirchenhierarchie kann Rosa Chávez in seiner Kritik an der Regierungspolitik eher nicht setzen; so äußerte etwa der aktuelle Hauptstadt-Erzbischof José Luis Escobar Verständnis dafür, als Bukele sich mit Trickserei den Weg zur eigentlich von der Verfassung ausgeschlossenen zweiten Amtszeit ebnete. Andere Bischöfe im Land teilen die Einschätzungen des Kardinals durchaus, wollen sich aber nicht öffentlich äußern, um ihre lokale Arbeit auch mit Betroffenen des Ausnahmezustandes nicht zu gefährden.

Kein Anlass zum Optimismus

Was würde Oscar Romero heute tun? Diese Frage hört Gregorio Rosa Chávez oft. Auch er selbst stellt sie sich immer wieder, zum Beispiel wenn er sich in die Kapelle des Krebskrankenhauses zurückzieht, in der Romero einst ermordet wurde und die heute eine Gedenkstätte ist. Denn angesichts all der Menschenrechtsverletzungen, die nach und nach bekannt werden, und des immer stärker zu Tage tretenden Autoritarismus des Präsidenten und der schrittweisen Gleichschaltung der Staatsgewalten sieht der einzige Kardinal El Salvadors im Moment eigentlich keinerlei Anlass zu Optimismus. 

Bild von Oscar Romero / © Cristian Gennari/Romano Siciliani (KNA)
Bild von Oscar Romero / © Cristian Gennari/Romano Siciliani ( KNA )

"Die tiefe Wahrheit unseres Landes ist eine sehr schmerzhafte." Dass er in seinen Gottesdiensten trotzdem weiter mutig predigt, dass er sich immer wieder öffentlich zu Wort meldet und trotz allem auch weiter an die Jugend glaubt, hat viel mit der Kraft zu tun, die er aus Romeros Beispiel zieht.  Denn, da ist sich Rosa Chávez ganz sicher: "Er würde an der Seite der Leute stehen, sie begleiten, mit ihnen gehen – und er würde ihnen seine Stimme leihen. Er würde sein Möglichstes tun, auch unter diesen ganz anderen, ganz schwierigen Umständen."

Adveniat

Adveniat ist das Hilfswerk der deutschen Katholiken für die Kirche Lateinamerikas. Der Name leitet sich ab von der lateinischen Vaterunser-Bitte "Adveniat regnum tuum" ("Dein Reich komme"). 

Bischöfliche Aktion Adveniat e. V. (Adveniat)
Bischöfliche Aktion Adveniat e. V. / ( Adveniat )
Quelle:
DR