Jesus erscheint strahlend in einer sonnendurchfluteten Wolke. "Ich bin bei euch alle Tage", ruft er seinen Jüngern gut gelaunt zu, die etwas skeptisch zusammenstehen und zu ihm heraufschauen. "Ist der echt?", fragt einer. Und ein anderer meint trocken: "Das wird irgendwann ein Konzil entscheiden."
Diese Zeichnung von Gerhard Mester, die der Künstler für einen Karikaturenband zu Zitaten aus dem Matthäusevangelium angefertigt hat, lässt aus zwei Gründen schmunzeln: zunächst, weil man sich denken kann, dass die Jünger Jesu damals tatsächlich sehr verblüfft gewesen sein müssen. Mesters Karikatur bildet dieses platte, ehrliche Erstaunen ab. Sie ist ein Gegensatz zu bekannten Darstellungen der Auferstehung. Hier schwebt Christus nicht umwoben von Goldglanz über den Jüngern, und diese sind auch nicht verklärt betend auf die Knie gesunken.
Nicht alle Karikaturen sorgen für Ärger
Der andere Grund, warum Betrachtende lachen müssen, ist die Erwähnung des Konzils. Konzile haben in der Geschichte als Versammlungen der jeweiligen Bischöfe und Päpste immer wieder geregelt, was die "wahre" Lehre sein soll. Allein: Die Figur auf der Karikatur spricht das Konzil dann an, obwohl es zu ihrer Zeit noch nicht einmal die christlichen Kirchen gab.
"Viele Zweifel in der christlichen Überlieferung wurden nicht auf der primären Bedeutungsebene der Heilserkenntnis, sondern der sekundären Ebene der Kanonisierung durch die Konzilien bereinigt", sagt Professor Christian Hempelmann, Theologe und Humorforscher an der East Texas A & M University im texanischen Commerce. Die Karikatur spielt also mit der Idee, dass die katholische Kirche über die Jahrhunderte festgelegt hat und weiterhin festlegt, was geglaubt werden soll.
Menschen mit dem Glauben in Kontakt bringen
Gerhard Mester hat in den rund 40 Jahren seiner Tätigkeit als Karikaturist nach eigener Aussage noch nie eine Beschwerde zu seinen Werken bekommen. "Ich lege es nicht darauf an, Grenzen zu überschreiten", sagt er. Der 69-Jährige, der mit einer Schar Hühner auf einem idyllischen Hof in Wiesbaden-Kloppenheim lebt, hat in seinen Zeichnungen schon früh christliche Themen aufs Korn genommen. Vielleicht ist das auch so, weil er ursprünglich einmal Sozialarbeiter oder Theologe werden wollte. Es kam dann anders. Er studierte Grafikdesign in Kassel und merkte bald, wozu er am liebsten arbeitete: soziale Themen, Gerechtigkeit, Klima.
Mester ist katholisch, interessiert sich für Kirche und verfügt über ein vielfältiges theologisches Wissen - als frommen Gläubigen würde er sich selbst aber nicht unbedingt bezeichnen. Vielleicht ist es vor allem die Haltung der christlichen Religion, die er schätzt und die er mit seiner Sammlung zum Matthäusevangelium aufzeigen möchte. Das Buch sei für ihn eine Bibelübersetzung in die heutige Zeit: "Der Vorteil von Karikaturen ist ja, dass sie didaktisch gut nutzbar sind", sagt Mester. "Man kann damit Menschen niedrigschwellig an ein Thema heranführen."
Mehrdeutigkeit ertragen lernen
Doch wie weit darf ein Karikaturist gehen? Ist es in Ordnung, Jesus völlig menschlich darzustellen - ohne Ehrfurcht und Sicherheitsabstand? Forscher Hempelmann antwortet auf diese Frage mit Gegenfragen: "Ist Jesus Christus Gott oder Mensch? Sowohl als auch. Ist das Brot des Abendmahls Brot oder Teilhabe an der Erlösung durch den geopferten Leib Jesu? Bitteschön."
Mit dieser - im Alltag oft unerwünschten - Mehrdeutigkeit spiele auch Mester. In einer weiteren Karikatur ist das verlassene Grab Jesu am Ostermorgen zu sehen. Davor steht ein wutentbrannter römischer Offizier, der in die leere Grabhöhle zeigt und seine Legionäre anbrüllt: "Wisst ihr, was das bedeutet, ihr Penner?!? Da machen diese Jesus-Leute 'ne Riesengeschichte draus! Da können wir in Rom mit unserem Jupiter einpacken..!!"
"Jesus war kein Übermensch"
Der Witz dieser Zeichnung liegt nach der Ansicht Hempelmanns in den unvereinbaren Lesarten desselben Ereignisses: "Warum ist das Grab leer? Für Christen, weil Christus im Osterwunder auch leiblich auferstanden ist, als unerlässlicher Schritt in der Offenbarung seiner Göttlichkeit. Für den Offizier aber ist das Grab leer, weil die Leiche aufgrund der Nachlässigkeit der Untergebenen abhanden gekommen sein muss." Wie er Jesus selbst darstelle, komme ganz aufs Thema an, sagt Karikaturist Mester. "Manchmal reagiert er ja auch unchristlich", findet er und spielt auf die Geschichte der kanaanäischen Frau an, die Jesus im Matthäusevangelium um Heilung für ihre Tochter bittet und von ihm zunächst schroff abgewiesen wird.
"Jesus war kein Übermensch und hatte auch Schwächen", sagt Mester. Das zu zeigen, sei nicht respektlos. Für den Künstler gibt es zwei wichtige Kriterien bei seiner Arbeit, wie er erklärt. Erstens: "Eine Karikatur muss bei der Wahrheit bleiben." Und: "Übertreibung ist ein Wesenszug von Karikatur". Mit seinen Zeichnungen möchte Gerhard Mester Menschen befähigen, einen Perspektivwechsel zu vollziehen, der sie bereichert - und ihnen Humor als "innere Freiheit" schenkt.