DOMRADIO.DE: Eigentlich können Engel ja von alleine fliegen. Aber den beiden, die heute wieder hoch oben auf den Nordturm des Kölner Doms mussten, wurde von Mitarbeitern der Kölner Dombauhütte geholfen. Damit kommen sie zurück an ihren alten Platz, den sie verlassen mussten, um repariert zu werden. In den kommenden Tagen werden sie wieder an ihrem ursprünglichen Ort festgeschraubt. Sind die Engel gut geflogen?
Peter Füssenich (Dombaumeister in Köln): Ja, sehr gut. Heute beim Transport der beiden Engel hat alles gut geklappt und es ist nichts kaputtgegangen. Ein solcher Transport von so sensiblen Bauteilen wie es ein Engel ist, ist ja immer mit Vorsicht zu genießen.
DOMRADIO.DE: Sie werden auch Friedensengel genannt. Warum heißen sie so?
Füssenich: Es handelt sich um Engel, die überlebensgroß sind. In jeder Ecke der beiden Türme des Kölner Doms stehen jeweils vier Engel, also insgesamt 32 Stück, die über die Stadt Köln wachen. Sie heißen Friedensengel, weil sie natürlich als Engel den Frieden verkünden. Und das tun sie mit Musikinstrumenten. Das sind musizierende Engel: Jeder von den Engeln hält ein anderes Musikinstrument in seiner Hand.
DOMRADIO.DE: Die haben also nicht alle einfach nur eine Harfe, wie der Engel, der vor sich hin Harfe spielt?
Füssenich: Man stellt sich vielleicht vor, dass jeder Engel eine Harfe in seinen Händen trägt. Aber nein, das ist ein großes Konzert, da oben in 80 Metern Höhe am Dom. Heute haben wir zwei Engel aufs Gerüst transportiert: Der eine trägt eine Trommel und eine Schalmei und der andere eine Bratsche.
DOMRADIO.DE: Die Engel sind nicht nur sehr groß, sondern auch schwer: Sie wiegen 1.500 Kilogramm. Wie kann man sie denn da hochtragen?
Füssenich: Das ist auch der Grund, warum diese beiden Engel jeweils in zwei Hälften geteilt sind – nicht in der Senkrechten, sondern in der Waagerechten –, um diesen Transport zu ermöglichen. So war das auch historisch, als man im 19. Jahrhundert die Türme fertigstellte und dort die Engel einbaute. Aber wir mussten die beiden Engel an der Nord-West-Ecke des Nordturms abnehmen, die an der Wetterseite stehen, weil sie in den letzten 160 Jahren arg verwittert waren. Und wir haben sie dann komplett ersetzen müssen.
DOMRADIO.DE: Wie kann man sie denn reparieren? Oder sind das jetzt quasi alles Replikationen?
Füssenich: Ja, das ist richtig. Zwei von diesen vier Engeln an dieser Ecke sind wunderbar erhalten, weil sie auf der Innenseite des Domes stehen und wirklich nichts dran ist. Die haben wir ein bisschen restauriert, von Schmutz befreit.
Aber die beiden anderen waren zum Teil tatsächlich arg zerfallen, die Musikinstrumente kaum mehr erkennbar, eine Nase abgefallen, Flügel brüchig und so weiter. Das sind Dinge, wo man genau hingucken muss, ob man das Original halten kann. In diesem Fall haben wir uns – natürlich auch aus Sicherheitsgründen – dafür entschieden, diese beiden durch Kopien zu ersetzen. Die Reparatur ist in der Dombauhütte passiert.
DOMRADIO.DE: Jetzt befinden sich die Engel dort oben in 80 Metern Höhe an einem Turm. Mal ganz ehrlich, wer guckt denn da so genau hin?! Hätte man nicht einfach sagen können, wir nehmen es nicht so genau und machen hier mal so eine Nase dran und hier so ein Ohr?
Füssenich: Wir sind selbstverständlich dem Kölner Dom und dem Original verpflichtet. Deshalb kopieren und ersetzen wir auch die Bauteile durch Kopien, die dem Original sehr ähnlich sind. Wir haben Gipsmodelle aus den Bildhauerwerkstätten des 19. Jahrhunderts, die wir zum Vorbild nehmen. Wenn ein Bauteil fehlt - eine Nase zum Beispiel - wissen wir haargenau, wie die einmal ausgesehen hat. Und so können wir das kopieren.
Man kann die Engel schon gut erkennen. Sie sind nämlich aus einem französischen Kalkstein gefertigt und ein bisschen heller als die umgebende Architektur. Deshalb fallen sie schon auf. Natürlich muss man da aber auch, wie überall am Dom, genauer hinschauen.
DOMRADIO.DE: Wo muss ich mich denn hinstellen, damit ich diese beiden jetzt frisch restaurierten Engel mit Bratsche und Schalmei gut sehen kann?
Füssenich: Zurzeit ist das tatsächlich schwierig, weil es durch das Turmgerüst nicht möglich ist. Aber nächstes Jahr werden wir dieses Turmgerüst abnehmen. Diese beiden Engel zu versetzen und einzubauen, ist das Letzte, was wir an dieser Baustelle machen. Damit endet eine langjährige Arbeit an der Nord-West-Ecke des Nordturmes. Das Gerüst wird ab jetzt ausgedünnt und Lage für Lage abgebaut. Im kommenden Jahr wird es mit einem großen Kran abgenommen und dann kann man die Engel auch wieder ganz wunderbar sehen.
DOMRADIO.DE: Das war ja eine sehr langwierige Arbeit über sechs, sieben Jahre. So etwas Großes herunterzuholen, zu restaurieren, wieder hochzubringen, das Gerüst an- und abzuschrauben, dauert selbstverständlich seine Zeit. Welches Gefühl ist das für Sie als Dombaumeister? Ist das so, als hätten Sie ein Stück vollbracht, ist das wie Weihnachten?
Füssenich: Ja, das kann man sagen! An dieser Turmecke wurden ja nicht nur die Engel kopiert, ausgetauscht und restauriert, sondern eben auch viele andere Bauteile wie Fialen, Krabben, all die Architekturglieder, die zum Teil durch den Krieg beschädigt sind oder teilweise durch Sturm beschädigt wurden. Teilweise mussten wir Bewehrungen austauschen, das heißt, wir haben dort die Befestigungen der Fialtürme gegen Edelstahlanker ausgetauscht.
Es ist eine sehr langwierige, langjährige Arbeit. Zum Teil auch nur möglich mit vielen erfahrenen Steinmetzen vor Ort. Es ist also diffizile Arbeit. Und es freut mich natürlich immer, wenn wieder ein kleines Stückchen vom Dom fertig ist und dann ein Gerüst abgebaut werden kann.
DOMRADIO.DE: Dieses kleine Stückchen vom Dom, diese beiden Friedensengel, die heute mit dem Kran wieder hochgebracht worden sind, haben 100.000 Euro gekostet. Ist so etwas aus dem normalen Topf zum Erhalt des Dombaus möglich?
Füssenich: Wenn man sich vorstellt, wie lange ein Bildhauer an einem solchen Werk arbeitet, kommt man schnell auf diese Summen. Wir haben zwei Bildhauer in der Kölner Dombauhütte, Thomas Kaintoch und Michael Oster, die diese beiden Engel nach den originalen Vorbildern gefertigt haben. Jeder hat etwas über ein Jahr gebraucht, um eine solch hohe Skulptur von 2,70 Metern, oder teilweise sogar noch ein bisschen größer, zu fertigen. Das sind lange Arbeitsprozesse, die notwendig sind.
Wir hatten das große Glück, dass wir Stifter gefunden haben, eine Stiftung, die sich dieser Engel angenommen hat. Und der Zentral-Dombau-Verein, unser großer Freund und Förderer, hat natürlich dafür gesorgt, dass hier die Stifter zum Dom kamen. Sie waren heute also auch kurz dabei, um die Engel zu verabschieden und fliegen zu sehen.
Das Interview führte Uta Vorbrodt.