Von Gemmingen fordert neue Regeln für päpstliche Zuständigkeit

Wird die Macht des Papstes überschätzt?

Was passiert, wenn ein Papst amtsunfähig wird? Der Kirchenhistoriker Hubert Wolf fordert dafür klare Regeln. Der ehemalige Redaktionsleiter von Radio Vatikan erinnert sich an Johannes Paul II. und sieht das Problem nicht beim Papst selbst.

Papst Franziskus schreibt / © Cristian Gennari (KNA)
Papst Franziskus schreibt / © Cristian Gennari ( KNA )

DOMRADIO.DE: Ein Papst, der aus Krankheitsgründen seine Amtsgeschäfte nicht mehr ausführen kann. Das war – zumindest für Außenstehende – der Fall bei Papst Johannes Paul II.. Er litt unter Parkinson und den Folgen eines Attentats. Pater von Gemmingen, haben Sie an einem Punkt mal gedacht, eigentlich kann er das Amt jetzt nicht mehr ausfüllen?

Pater Eberhard von Gemmingen (1982 bis 2009 Leiter der deutschsprachigen Redaktion von Radio Vatikan): Ich kann mich nicht erinnern, dass ich so gedacht habe. Aber wir alle in Rom wussten, dass seine rechte Hand und damaliger Sekretär, der jetzige Kardinal Dziwisz, so sehr die rechte Hand des Papstes war, dass er praktisch nahezu alle Entscheidungen getroffen hat. Papst Johannes Paul II. hat vielleicht noch einen Blick drauf geworfen, genickt und zugestimmt. Natürlich, rechtlich ist das zweifelhaft. Aber solange Johannes Paul II. denken konnte und nicht Nein gesagt hat, konnte man auch nicht sagen: Es ist gegen seinen Willen.

DOMRADIO.DE: Meinen Sie, dass diese Art Amtsgeschäfte zu führen damals auch Auswirkungen hatte auf die Ausrichtung der Weltkirche?

von Gemmingen: Nein, ich kann mich nicht erinnern, dass es sehr große Folgen hatte. Ich meine, das Entscheidende ist: Ein Papst muss im tiefen Grunde nur ganz wenige Sachen wirklich selber entscheiden. Dass so viel über seinen Schreibtisch geht, ist kein Dogma. Es ist ein Faktum, aber das muss nicht so sein.

DOMRADIO.DE: Wie sieht es dann aber aus mit den Machtverhältnissen im Vatikan? Man hat den Eindruck, Papst Franziskus hat im Moment viel zu tun. Das konnte Johannes Paul II. damals ja auch nicht mehr richtig steuern.

von Gemmingen: Ich glaube, Ihre Frage zeigt, dass man die Steuerungsfunktion des Papstes im Allgemeinen überschätzt. Der Papst hat nicht alle Fäden und kann gar nicht alle Fäden in der Hand haben. Unendlich Vieles läuft auf den Schreibtischen der Chefs der Kongregationen und Räte ab. Die können auch entscheiden.

Das sind ja auch alles keine dogmatischen Fragen, sondern das sind Fragen der Kirchenführung, die aber letztlich mit Dogma und dem, wofür der Papst zuständig ist, nichts oder wenig zu tun haben. Also wer wo welcher Bischof wird, ist ja keine unfehlbare Entscheidung. Da hängt auch der Papst ab von vielen Ratgebern und kann irren. Medien vermitteln da einen völlig falschen Eindruck. Ein Papst ist nicht der Steuermann, durch dessen Hände alles läuft.

DOMRADIO.DE: Man könnte ja denken, Papst Benedikt XVI. hat das alles mitbekommen und gesagt: dann trete ich lieber vorher ab. Kann das so gewesen sein?

von Gemmingen: Ja. Benedikt war sehr, sehr weise. Viele Fragen sind zwar keine endgültigen Glaubensfragen, aber doch Fragen, von denen die Entwicklung der Kirche abhängt. Benedikt hat gesehen, ich habe das nicht mehr alles unter Kontrolle und ich trete zurück. Also ich sage kühn: Wir werden in Zukunft vielleicht drei, vier, fünf zurückgetretene Päpste haben. Denn die Anforderungen, die jetzt an einen Papst gestellt werden, sind eigentlich übermenschlich für einen Mann, der 84 Jahre alt ist.

Entweder muss man die ganze Kirchenstruktur sehr ändern, denn dass so vieles über römische Schreibtische läuft, ist keineswegs in der Grundverfassung der Kirche festgelegt. Weil der Mensch heute so alt wird, könnte ich mir auch denken, dass es in Zukunft auch mehrere zurückgetretene Päpste geben wird. Warum nicht? Das ist keine Unmöglichkeit.

DOMRADIO.DE: Der Münsteraner Kirchenhistoriker Hubert Wolf fordert eine Art "päpstliche Patientenverfügung" zu erlassen, die klärt, wer dann im Fall des Falles Entscheidungen treffen könnte. Jenseits von allem Kirchenrecht und aufgrund Ihrer persönlichen Eindrücke: Meinen Sie, so ein Gesetz wäre notwendig?

von Gemmingen: Kann ich nicht sagen. Ich verstehe von Kirchenrecht zu wenig. Ich glaube, längerfristig müsste eine Strukturreform stattfinden, dass zum Beispiel nicht alle Bischöfe rund um den Globus in dieser Weise von Rom bestätigt werden, wie es heute ist. Viele Dinge könnten dezentraler sein. Das bringt aber natürlich die Gefahr des Auseinanderfallens.

Aber vor allem ist auch meistens sehr wenig die wachsende, lebendige und dynamische Kirche in Ostasien, zum Teil in Afrika und zum Teil in Lateinamerika und Mitteleuropa in Blick. Das ist ein sterbender Patient. Ich drücke das sehr brutal aus, weil wir uns mit theologischen Randfragen herumschlagen. Ich fürchte und ich sage es jetzt sehr brutal, deutsche Theologen hätten an Jesus Christus wahrscheinlich viel rumzumeckern. Der ist zu streng, der ist zu lose, der ist zu ...  Deutsche Theologen meckern an allem rum, und ob Jesus da heute besser bei weg käme, da habe ich die große Frage.

Das Interview führte Heike Sicconi.


Pater Eberhard Freiherr von Gemmingen-Hornberg SJ (KNA)
Pater Eberhard Freiherr von Gemmingen-Hornberg SJ / ( KNA )
Quelle:
DR
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