DOMRADIO.DE: Ist das realistisch, dass die Fassade von Notre Dame zu den Olympischen Spielen fertig wird und dass am 8. Dezember wieder Besucher in die Kathedrale kommen können?
Prof. Barbara Schock-Werner (ehemalige Kölner Dombaumeisterin und Kunsthistorikerin): Ja, das werden sie hinkriegen. Aber fertig ist ja ein relativer Begriff. Es wird schon immer gesagt, es müsse danach noch weitergearbeitet werden. Die Reinigung und solche Dinge sind noch nicht beendet. Aber die haben ja mit so einem Wahnsinnstempo und einem riesigen Geld- und Zeitaufwand gearbeitet, dass sie das wahrscheinlich hinkriegen, auch wenn es zwischenzeitlich auch mal so kleine Zweifel gab.
DOMRADIO.DE: Wie ist denn der Stand der Dinge?
Schock-Werner: In den kommenden Wochen soll das Außengerüst fallen. Wenn die Außengerüste und das Innengerüst, das wahrhaft gigantisch ist, fallen, müssten eigentlich in ganz Frankreich die Gerüstmaterialkosten drastisch sinken, weil das ja Riesengerüste waren. Und selbst wenn an der ein oder anderen Stelle noch ein Gerüst steht oder vielleicht nachher wieder aufgestellt werden muss: Der Macronsche Ehrgeiz, dass zu Beginn der Olympischen Spiele die Fassade fertig ist, wird wohl belohnt.
Die machen ganz raffinierte Dinge. Die Dreieckbinder für den Dachstuhl wurden schon vorher woanders fertig montiert und dann per Schiff die Seine heruntergefahren und als Ganzes aufgesetzt. Mit solchen Methoden kann man natürlich viel Zeit sparen auf Baustellen.
DOMRADIO.DE: In Deutschland benötigen wir für Bauprojekte dieser Größenordnung oft Jahrzehnte, schauen wir nur einmal auf die Kölner Oper. Warum geht das eigentlich in Frankreich vergleichsweise schnell? Fünf Jahre für so einen Wiederaufbau? Das ist ja gar nichts.
Schock-Werner: Nein, das ist gar nichts. Man kann auch nicht sagen, es geht in Frankreich immer so schnell, sondern es geht dort jetzt so schnell. Das hat zwei Gründe: Es steht Geld ohne irgendeine Begrenzung zur Verfügung. Und der Treiber ist der Staatspräsident, der alle Regeln außer Betrieb setzen kann und sagen kann: Das wird jetzt so gemacht, das wird dann fertig. Und dann kann ich natürlich ganz anders bauen, als wenn ich an Vorschriften und Genehmigungen gebunden bin, wie das auch in Frankreich sonst das Übliche ist.
DOMRADIO.DE: Aber wäre es nicht manchmal besser, die Baustelle auch eine Weile stehen zu lassen? Ich denke an das Löschwasser. Das ist ja in alle Mauern eingedrungen.
Schock-Werner: Innen wird die Kirche sehr anders aussehen, weil sie innen sehr hell getüncht wird, das war ja vorher steinsichtig. Das sieht wirklich ganz toll aus. Aber selbst der Architekt befürchtet, dass in vier oder fünf Jahren alles wieder runterblättert, weil die Mauern eben noch zu nass sind. Wenn der Druck da ist, dann passiert eben so etwas. Und in vier, fünf Jahren wird der Staatspräsident mit großer Wahrscheinlichkeit nicht mehr im Amt sein. Und dann müssen die anderen das austragen. Denn wenn man die Wände anfasst, spürt man, sie sind noch feucht.
DOMRADIO.DE: Einige der beschädigten Fenster sind ja in der Kölner Dombauhütte restauriert worden. Sind die inzwischen wieder eingebaut?
Schock-Werner: Schon fast vor einem Jahr haben wir das letzte Fenster eingebaut, genau den Zeitvorgaben gemäß.
DOMRADIO.DE: Stichwort Fenster. Da wurden vor fünf Jahren auch Fenster in Kisten in Notre Dame aus dem Jahr 1939 entdeckt. Glasfenster, die schon vor Jahrzehnten für Streit sorgten, denn sie galten mit ihren Farblichkeiten und Darstellungen als zu modern. Was passiert denn jetzt mit diesen Fenstern?
Schock-Werner: Das ist eine Entscheidung der Franzosen. Es gab ja auch die Überlegung, etliche Fenster, die höchste Qualitätsstufe haben, durch ganz moderne Fenster zu ersetzen. Das wird jetzt erst mal nicht geschehen. Zeitdruck. Aber man wird darüber weiter reden müssen und reden können. Denn auch Notre Dame ist nichts, was für ewige Zeiten zementiert ist.
DOMRADIO.DE: Um eine Vorstellung von den Ausmaßen dieser Mammutbaustelle zu bekommen: Können Sie eigentlich ungefähr sagen, wie viele Menschen und Gewerke daran beteiligt sind?
Schock-Werner: Also am Schluss waren etwa 500 Leute beschäftigt. Das ist natürlich gigantisch. Das ist für den Architekturchef schon eine ganz, ganz schwierige Aufgabe.
DOMRADIO.DE: Sie haben ja die deutschen Spenden mit betreut und die Verwendung gesteuert. Läuft das noch?
Schock-Werner: Nein, meine Arbeit ist vollendet.
DOMRADIO.DE: Sind Sie denn beim Eröffnungsgottesdienst am 8. Dezember dabei? Verdient hätten Sie es doch, weil Sie so viel Energie und Zeit geopfert haben, um die deutschen Hilfen zum Wiederaufbau zu koordinieren.
Schock-Werner: Ich habe neulich wieder mit Armin Laschet gesprochen, der ja auch beteiligt war. Wir haben beide noch keine Einladung bekommen und sind sehr gespannt, ob wir noch eine bekommen.
DOMRADIO.DE: Aber dann wird erst noch mal weitergebaut nach dem 8. Dezember. Das wird dann noch drei, vier Jahre dauern.
Schock-Werner: Ich denke auch, das wird etliche Jahre dauern.
Das Gespräch führte Johannes Schröer.