DOMRADIO.DE: Könnte man die katholische Kirche und Ihre Liturgie mit einer Modenschau vergleichen?
Jean-Charles De Castelbajac (Künstler und Stardesigner): Ganz und gar nicht. Eine Modenschau ist dazu da, ein Produkt und die Idee eines Designers zu verkaufen und sie der Welt zu präsentieren. Manche lassen es vielleicht gerne so aussehen, als wäre der Catwalk ihre Kirche oder ein Kult. Aber das ist doch heidnisch.
Jeder vergleicht die Modenschauen und die Liturgie seit Fellinis Film Roma miteinander, wegen der großen Feiern der Bischöfe, die wie Modenschauen wirken in diesem prunkvollen Luxus und diesen Verzierungen und Bordüren an den Gewändern. Aber die haben nichts mit meiner Vision von Mode zu tun. Sie sind da, um als Luxus zu erscheinen und als Begleiter von Festen.
DOMRADIO.DE: Wenn Sie sich die katholische Kirche mal unter stilistischen Gesichtspunkten anschauen. Hat sie eigentlich Geschmack?
De Castelbajac: Sie hat auf jeden Fall Geschmack und Stil. In ihr liegt der Ursprung von großen architektonischen Bewegungen. Viele künstlerische Bewegungen beginnen mit der Kirche, weil die Kirche Kunstwerke in Auftrag gab. Auch für meine Arbeit war sie immer eine Inspiration.
DOMRADIO.DE: Inwiefern?
De Castelbajac: Meine Familie ist seit 1.000 Jahren christlich und die katholische Kirche hat mich schon als kleiner Junge begleitet. Die Farbwahl in meinen Arbeiten ist von der Glasmalerei der Kirche beeinflusst, die ich jeden Morgen im Internat besucht habe. Ich habe nie daran gedacht, dass sich meine Kunst irgendwann einmal mit meinem Glauben verbinden würde.
DOMRADIO.DE: Wie kam das?
De Castelbajac: Das hat sich ganz von selbst ergeben. Am Anfang wollte ich gar kein Modedesigner werden. Ich glaubte, das sei keine Arbeit für mich. Ich wollte Künstler sein. Dann habe ich Mode als Medium benutzt.
Der ehemalige Direktor der Kunsthochschule Wien hat mal eine Ausstellung über mich gemacht – und er nannte sie "Antikörper". Das habe ich geliebt. Denn mit der Ausstellung sagte er, dass ich niemals Fashion gemacht habe, sondern Kunst.
Irgendwann begann ich, mich für die Beziehung zwischen Liturgie und Kunst zu interessieren.
Marie-Alain Couturier, ein Dominikaner und Kunstkritiker, hat gesagt, dass besser Leute die nicht an Gott glauben, für die Kirche arbeiten sollten, weil sie keine Gefangenen von Dogmen seien. Aber bei mir war es andersrum. Mein Glaube hat mich immer inspiriert.
DOMRADIO.DE: Was bedeutet es Ihnen, die liturgischen Gewänder zur Neueröffnung von Notre-Dame zu entwerfen?
De Castelbajac: Kontinuität, würde ich sagen. Ich hatte gute Erfahrungen mit der Kirche. 1992 habe ich mit der Community of Sacred-Heart zusammengearbeitet, zusammen mit Anish Kapoor. Das war sehr interessant. 1997 wurde ich beauftragt, für den Weltjugendtag in Paris zu entwerfen. Damals fragte mich Papst Johannes Paul II., ob ich Farbe als ein Segment des Glaubens verwenden würde.
Dieser Auftrage hat mein Leben verändert. Wenn man Modedesigner ist, antwortet man auf Fragen der Schönheit oder der Bequemlichkeit. Wenn du Künstler bist, stellst du Fragen. Und bei diesem Abenteuer habe ich beides gleichzeitig erlebt. Durch den Weltjugendtag habe ich realisiert, dass ich mit meiner Kunst Menschen zusammenbringen kann. Ich kann mein Talent benutzen, um ein Architekt der Brüderlichkeit zu sein.
Darin bin ich gut, mit Farben und mit Symbolen. Viele fragen mich, wie ich auf der einen Seite mit Lady Gaga zusammenarbeiten kann und auf der anderen Seite mit dem Papst. Ich sage wegen der Kinder und wegen der Jugend. Weil ich an der Zukunft interessiert bin. Sie schauen zu beiden auf.
DOMRADIO.DE: Als Sie 1997 das päpstliche Gewand entworfen haben, haben Sie die Farben des Regenbogens eingearbeitet. War das eine politische Botschaft?
De Castelbajac: Es war mir direkt bewusst, dass ich den Regenbogen verarbeiten muss. Noah hat nach der Sintflut den Regenbogen gesehen. Er ist der Highway zwischen Gott und den Menschen auf Erde. Ich musste ein starkes Symbol finden. Ich musste den jungen Menschen zeigen, dass die Kirche und ihre Werte modern sind, diese Empathie, die Brüderlichkeit unter den Menschen.
Damals bin ich zu Kardinal Jean-Marie Lustiger gegangen und habe gesagt: "Ich glaube nicht, dass Sie sich darüber sehr freuen werden, aber es muss der Regenbogen sein". Und er antwortete ganz einfach: "Es gibt kein Copyright auf den Regenbogen". Nicht jeder mochte das Symbol damals, aber Kreativität ist keine Demokratie.
DOMRADIO.DE: Die Farben des Regenbogens sind auch auf den Festtagsgewändern für Notre-Dame. Sie sind auch ein Zeichen der LGBTQ+-Bewegung. Spielte das eine Rolle für Sie?
De Castelbajac: Hauptsächlich ist sie mit Frieden und Menschlichkeit verbunden. Vor langer Zeit war der Regenbogen auf der Flagge der Inka-Kaiser. Er ist auch die Flagge des Himmels. Wir müssen akzeptieren, dass wir in einer Zeit der Toleranz leben, in der niemand für das verurteilt werden soll, wie er ist.
DOMRADIO.DE: Hat auch Notre-Dame oder die Bedeutung als Wahrzeichen die Entwürfe beeinflusst?
De Castelbajac: Sie ist ein Flaggschiff der Spiritualität, von denen es nicht viele gibt. Notre-Dame findet sich in meiner Kunst aus vielen Gründen immer wieder. Mit 17 sah ich dort die Kleidung von Saint-Louis. Es war ein Hemd aus dem 11. Jahrhundert und es hatte einfach den coolsten Schnitt. Dann habe ich alle meine Sachen in dieser Form getragen.
Papst Johannes Paul II. hat das Gewand, das ich für ihn entworfen habe, dem Schatz von Notre-Dame überlassen. Es ist also eine Reliquie zweiter Kategorie. Sie ist vor dem Feuer gerettet worden. Das hat mich sehr berührt.
DOMRADIO.DE: Noch ein paar Hardfacts?
De Castelbajac: Die Gewänder werden hauptsächlich in Frankreich hergestellt. Ich verwende sehr moderne Techniken, wie Flocage (Flockfasern, Anm. d. Red.) anstatt dieser ganzen Stickereien.
Und ich bringe auch dieses schöne Symbol zurück. Das Chrismon, so wie Kaiser Konstantin es auf seiner Flagge hatte. Außerdem verwende ich sehr reine Ausschnitte, Sie wissen schon, so wie Henri Matisse das gemacht hat.
In der Mitte der Gewänder sind goldene Kreuze, die jedes Feuer überleben. Die Farben des Regenbogens funkeln auch wieder auf den Gewändern. Wir werden uns damit in ein neues Zeitalter begeben, eine Wiedergeburt. Notre-Dame wird wunderschön und atemberaubend sein und die jungen Menschen von Morgen ansprechen.
Das Interview führte Clemens Sarholz.