Wissenschaftler sieht in "Reichsbürgern" religiöse Züge

Grundmotiv religiöser Apokalyptik

Der Religionswissenschaftler Ansgar Martins sieht die "Reichsbürger" als eine "messianische Bewegung". Er erkennt ein "Grundmotiv religiöser Apokalyptik, wonach die Katastrophe bevorsteht und zugleich eins mit der Rettung ist".

Razzia gegen Reichsbürger-Szene / © Boris Roessler (dpa)
Razzia gegen Reichsbürger-Szene / © Boris Roessler ( dpa )

In der "messianischen Bewegung" verbänden sich zwei Dinge: "Die Erwartung eines New Age, eines spirituellen neuen Zeitalters, und der Kampf gegen die angebliche Verschwörung, die die neue Zeit verhindern will", sagte Martins der "Welt" (Montag).

In der englischsprachigen Forschung gebe es dafür seit den 2010er-Jahren den Begriff der "Conspirituality", eine Zusammensetzung aus Konspiration und Spiritualität, erläuterte Martins. "Solche 'Konspiritualität' gibt es in esoterischen Kreisen seit dem 19. Jahrhundert, immer verstärkt in Krisen- und Kriegszeiten."

Grundmotiv religiöser Apokalyptik

Er sehe bei den "Reichsbürgern" ein "Grundmotiv religiöser Apokalyptik, wonach die Katastrophe bevorsteht und zugleich eins mit der Rettung ist" so Martins weiter. Über dieses Schema legten sich neue Aspekte wie die QAnon-Verschwörungstheorie.

Polizisten bei einer Razzia gegen Reichsbürger-Szene / © Bodo Schackow (dpa)
Polizisten bei einer Razzia gegen Reichsbürger-Szene / © Bodo Schackow ( dpa )

"Die Gruppe, die letzte Woche verhaftet wurde, ging laut Generalbundesanwalt von einem bösen 'Deep State' aus, der die Bundesrepublik kontrolliert, und von einem guten, technisch hoch entwickelten Geheimbund, die 'Allianz', der die Republik bekämpft und schon im Land ist. Man musste sich 'nur noch' bewaffnen, um diesen epischen Moment der Befreiung herbeizuführen", so Martins. "Da vermischen sich alte Muster mit neuem Irrsinn."

Die Ursprünge des "Reichsbürger"-Weltbildes ließen sich auf den Berliner Wolfgang Ebel zurückführen, der Mitte der 80er-Jahre die vermutlich erste "Kommissarische Reichsregierung" ausgerufen habe, weil die Bundesrepublik angeblich nicht existiere, sagte Martins.

Fake-Regierungen und Fantasie-Staaten

Neu seien derartige Fake-Regierungen und Fantasie-Staaten. Die Begründung allerdings sei älter und trage antisemitische Muster.

"Schon nach dem Ersten Weltkrieg hielten viele die Weimarer Republik für ein jüdisches oder westliches Verschwörungskonstrukt, des 'Deutschen Reichs' nicht würdig. Und auch nach dem Zweiten Weltkrieg glaubten Rechtsradikale und Nazi-Nostalgiker natürlich nicht an die Legitimität des neuen Staats."

Mann trägt einen Pullover mit dem Aufdruck "Deutsches Reich" bei Reichsbürger-Demo / © Christophe Gateau (dpa)
Mann trägt einen Pullover mit dem Aufdruck "Deutsches Reich" bei Reichsbürger-Demo / © Christophe Gateau ( dpa )

Martins: "Die Art und Weise, wie da der Staat gedacht wird, ist antisemitisch, auch wenn von Juden nicht immer explizit die Rede ist.

Es geht darum, dass angeblich eine kleine, böse, verschworene Gruppe im Hintergrund die Fäden zieht."

Reichsbürger

Unter dem Begriff Reichsbürger firmieren laut Verfassungsschutz verschiedene Gruppierungen, für die das Deutsche Reich etwa in den Grenzen von 1937 fortbesteht. Sie erkennen die Bundesrepublik als Staat nicht an und damit auch nicht deren Gesetze und Behörden. Die Akteure sind teilweise in der rechtsextremen Szene verankert. Sogenannte Reichsbürger und Selbstverwalter weigern sich, Steuern, Sozialabgaben oder Bußgelder zu zahlen. Häufig zweifeln sie amtliche Bescheide oder Verwaltungsakte an. Manchmal werden Behördenmitarbeiter bedroht.

Ausgabe der Zeitschrift "Deutsche Polizei" befasst sich mit Reichsbürgern / © Jochen Lübke (dpa)
Ausgabe der Zeitschrift "Deutsche Polizei" befasst sich mit Reichsbürgern / © Jochen Lübke ( dpa )
Quelle:
KNA