DOMRADIO.DE: Das erzwungene Homeoffice vieler hat gezeigt, dass Arbeit auch anders geht. Ist das eine echte Chance?
Erik Händeler (Zukunftsforscher und stellvertretender bayerischer Landesvorsitzender im Verband der Katholiken in Wirtschaft und Verwaltung / KKV): Das war vorher schon möglich. Aber jetzt ist es in der Kultur angekommen, dass es normal ist, Konferenzen zu Hause zu machen. Man muss nicht mehr irgendwohin fahren, man kann sogar über das Internet Vorträge und Seminare halten. Leute können mitdiskutieren, es werden Umweltressourcen eingespart.
Das ist alles schön und gut. Aber die eigentliche Neuerung von Corona wird sein, dass man mehr auf den Umgang der Menschen miteinander bei der Arbeit achten wird, weil das in den Vordergrund rückt.
DOMRADIO.DE: Warum rückt jetzt durch diese Digitalisierung in der Kommunikation der Mensch in den Vordergrund?
Händeler: Ich glaube, dass Corona nur ein Auslöser für eine Entwicklung ist. Die Maschinen machen die materielle Arbeit. Das ist durch Roboter und durch Industrie 4.0. noch weiter vervollkommnet worden. Und dann gibt es strukturierte Arbeit. Das macht der Computer oder die sogenannte Künstliche Intelligenz. Serienbrief ausdrucken, Robotersteuerung, Telefonvermittlung: Das ist strukturierte Wissensarbeit.
Das, was in Zukunft an Arbeit bleibt, ist Arbeit am Menschen und Arbeit mit Wissen: planen, organisieren, beraten, Probleme lösen.
Ich bin stellvertretender bayerischer Landesvorsitzender vom KKV, Katholiken in Wirtschaft und Verwaltung. Wir haben ein Papier mit zehn Thesen über die Zukunft und über die Digitalisierung ausgearbeitet. Die Kernidee: Der Wohlstand hängt von den Menschen hinter der Technik ab. Und es gibt übrigens auch völlig neue Chancen fürs Evangelium.
DOMRADIO.DE: Warum?
Händeler: In der Industriegesellschaft war es völlig egal, ob die Leute an der Maschine miteinander zurechtgekommen sind oder nicht. Der Wohlstand hing davon ab, wie die Maschine eingestellt war. Jetzt arbeitet die Maschine alleine vor sich hin.
Das, was an Arbeit entsteht, geht über unsere Ziele. Wie verwenden wir unsere Ressourcen? Wer macht was? Wir müssen uns einigen, wir müssen miteinander ringen. Auf einmal kann man nicht mehr sagen: "Ach ja, du hast deine Wahrheit und ich habe meiner Wahrheit", und es geht jeder in sein Zimmer und macht die Tür zu. Sondern wir müssen miteinander streiten.
Jemand kann noch so - Entschuldigung - "scheißfreundlich" sein. Erst, wenn Sie mit jemandem einen Konflikt haben, werden Sie feststellen, wes Geistes Kind er ist. In der Arbeitswelt und in der Wirtschaftswelt wird die Fähigkeit zu streiten und zu ringen, das entscheidende Kriterium für den Wohlstand sein. Das Christentum hat ja da eine klare Meinung zu diesen Themen.
DOMRADIO.DE: Haben Sie denn den Eindruck, dass das, was Sie da jetzt beschreiben, als Bewusstsein schon bei den Arbeitgebern durchgesickert ist?
Händeler: Ich bin in der Wirtschaft unterwegs, ich bin in der Politik unterwegs, ich bin in der Kirche unterwegs. Mein Eindruck ist: In der Wirtschaft geht es darum, dass das Unternehmen überleben muss. Und da ist es eher so, dass ein Konflikt nicht von Macht entschieden wird und auch nicht nach dem Motto "Wer ist der Spezi von", sondern es gelingt eher vom Inhalt her. Bauen wir die Maschine - ja oder nein? Und wenn ja, dann mit besserem Argument.
Ich glaube, die ganze Coaching-Szene und Persönlichkeitsbildung ist eine recht egoistische Geschichte. Aber eigentlich geht es darum, sich selber kennen zu lernen, um dann auch zu schauen, wie ich mit anderen zusammenwirke. Ich glaube, dass sich da aus wirtschaftlichem Druck heraus diese Themen schneller entwickeln als in der Politik oder in der Kirche.
DOMRADIO.DE: Das klingt ja eigentlich so, als wären starke Hierarchien ein Modell von gestern.
Händeler: Ja, weil es nicht produktiv ist. Weil derjenige, der sich auskennt, in der Hierarchie ganz unten ist. Je höher man kommt, desto mehr ist die Aufgabe, Ressourcen zu moderieren und die Leute zu fragen, was sie brauchen, um ihre Aufgaben gut zu machen.
Deswegen müssen Hierarchien durchlässig sein. Es braucht eine klare Verantwortlichkeit, aber es muss die Möglichkeit geben, dem Chef fachlich zu widersprechen oder mitzudenken. Kirche ist immer eingebettet in die sozialen Strukturen. Ich glaube, dass kirchliche Strukturen sich diesen Anforderungen anpassen werden, die dann auch in die Wirtschaft der Wissensgesellschaft nötig sind.
DOMRADIO.DE: Das kann natürlich noch ein bisschen dauern.
Händeler: Ach, manchmal gehen die Entwicklungen auch recht schnell.
DOMRADIO.DE: Glauben Sie, dass Corona da tatsächlich eine Katalysator-Wirkung haben kann?
Händeler: Ja, weil wir eine Wirtschaftskrise bekommen. In den Geschichtsbüchern wird vermutlich stehen, dass Corona eine große Weltwirtschaftskrise ausgebrochen hat. Wir vom KKV, die dieses Thesenpapier in Bayern gemacht haben, denken, dass es diese Wirtschaftskrisen immer dann gab, wenn eine Technik fertig investiert war.
Als die Eisenbahn gebaut war, gab es 1873 eine Wirtschaftskrise. 1929 gab es eine Weltwirtschaftskrise, weil der elektrische Strom fertig investiert war. Wir glauben, die Zeit, in der der Computer uns noch produktiver und schneller gemacht hat, ist vorbei. Deswegen wird es ungemütlich, bis es uns gelingt, die Zusammenarbeit besser zu gestalten.
DOMRADIO.DE: Wir sind jetzt also quasi am Ende der Technik angelangt und müssen jetzt unsere menschlichen Fähigkeiten entwickeln, damit wir die Technik beherrschen können?
Händeler: Genau. Technik ist weiter wichtig. Aber Technik ist nicht mehr Treiber des Wohlstandes, der Entwicklung, sondern der Mensch hinter der Technik. Das ist das Entscheidende.
DOMRADIO.DE: Die Digitalisierung macht vielen Menschen Angst. Wie kann es funktionieren, trotzdem möglichst viele möglichst gut auf diesem Weg des Wandels mitzunehmen?
Händeler: Vor allen Dingen, indem wir die Angst rausnehmen. Ich habe das Gefühl, es gibt so nassforsche Ellenbogenpropheten, die vor zwei, drei Jahren erzählt haben, dass durch Digitalisierung alles furchtbar anders wird, 40 Prozent der Arbeitsplätze wegfallen und die Leute entmündigt werden.
Ich glaube, da ist viel Windbeutelei und Wichtigtuerei dabei. Das, was nützlich ist, wird sich durchsetzen. Ansonsten gibt es natürlich eine bestimmte Zukunftsskepsis und die Leute wollen sich nicht ändern. Gegen die Eisenbahn und alle technischen Neuerungen hat man sich auch gewehrt. Ich glaube, dass das, was sich durchsetzt, nützlich ist und, dass die Arbeit nicht weniger wird. Jede technische Erfindung hat Arbeit eingespart. Aber die Leute sind dadurch nicht arbeitslos geworden, sondern neue Arbeitsplätze werden rentabel, die vorher nicht möglich waren.
DOMRADIO.DE: Welche Verschiebungen in der Arbeitswelt wird es denn Ihrer Meinung nach durch die Digitalisierung geben?
Händeler: Es wird mehr Beratung geben. Selbst, wenn ich ein Handwerker wie ein Fliesenleger bin. Ein Fliesenleger hat eine bestimmte Anzahl Quadratmeter pro Stunde, die er legt. Aber auch er muss über Farben, Design und Materialen Bescheid wissen. Und er muss auch ein schwieriges Ehepaar beraten können. Ich glaube, der Teil der Arbeit, bei dem man mit Menschen zu tun hat, wächst. Alles andere wird durch Maschinen erledigt oder eben auch durch den Computer. Und das, was der Computer nicht leisten kann, ist die Arbeit, die wächst. Das kann auch jemand machen, der den herkömmlichen Beruf hat.
Das Interview führte Hilde Regeniter.