Wolfgang Thierse zur "GroKo"-Zustimmung der SPD-Mitglieder

"Jetzt müssen Wunden geleckt werden"

Mit einem letztlich so eindeutigen Ergebnis des SPD-Mitgliedervotums zur Großen Koalition hatten wohl die wenigsten gerechnet - auch nicht Wolfgang Thierse, SPD-Urgestein und ehemaliger Bundestagspräsident.

SPD-Mitgliedervotum / © Kay Nietfeld (dpa)
SPD-Mitgliedervotum / © Kay Nietfeld ( dpa )

DOMRADIO.DE: Am Sonntag um halb zehn wurde bekannt gegeben, dass die Genossen dem Koalitionsvertrag mit der Union zugestimmt haben. Das war im Vorhinein nicht so klar absehbar. Wie haben Sie den Sonntagmorgen erlebt? Mit Herzklopfen?

Wolfgang Thierse (SPD-Politiker und ehemaliger Bundestagspräsident): Ich war gespannt und auch skeptisch. Ich habe gedacht, dass es sehr knapp ausgehen würde. Insofern bin ich von diesem doch eindeutigen Ergebnis positiv überrascht. Zweidrittel zu einem Drittel - das ist eine klare Ansage.

DOMRADIO.DE: Aber die Spannungen in der Partei bleiben weiter bestehen. Ein Drittel war schließlich gegen den aktuellen "GroKo"-Kurs, das ist ja jetzt auch mit Zahlen belegbar. Wie kommt die Partei aus dieser Vertrauenskrise wieder heraus?

Thierse: Zunächst zeigt es ja, dass die SPD eine sehr lebendige Partei ist. In den vergangenen Wochen wurde heftig debattiert und gestritten. Natürlich müssen jetzt die Wunden geleckt werden. Die Verlierer müssen ein Ergebnis akzeptieren, das demokratisch zu Stande gekommen ist – und ihren Beitrag zur Einheit der Partei leisten. Eine solche Abstimmung ist ein Vertrauensbeweis für die Parteiführung. Das haben auch diejenigen zu respektieren, die anderer Meinung waren.

DOMRADIO.DE: Sie haben in einem anderen DOMRADIO.DE-Interview gesagt, dass die SPD für ihre Regierungsarbeit der vergangenen Jahre nicht belohnt worden ist vom Wähler. Wird das jetzt ein Profilierungs-Schaukampf in dieser Legislaturperiode, damit die SPD wieder Ansehen gewinnt?

Thierse: Dass man gemeinsam mit der Union regiert, aber zugleich unterscheidbar bleibt – das ist eine Lehre aus den vergangenen beiden großen Koalitionen, wo die SPD gute Arbeit geleistet hat, aber dafür nicht belohnt worden ist. Wir müssen es als Sozialdemokraten schaffen, ernsthafte und überzeugende Regierungsarbeit zu leisten, also wirklich gute Alltagspolitik zu machen. Und zugleich weit über den Tag hinaus über die Konzepte zu debattieren, die wir zur Lösung der wirklich großen Zukunftsherausforderungen brauchen. Beides ist notwendig: Zum einen überzeugende Regierungsarbeit, aber auch Antworten auf die demografischen und digitalen Herausforderungen im Land, auf die Herausforderungen in Europa, auf die Zukunft der Solidarität in einer individualistischen, widersprüchlichen Gesellschaft und so weiter.

DOMRADIO.DE: Am Mittwoch in einer Woche kann Angela Merkel wieder zur Bundeskanzlerin gewählt werden. Sie sind nicht mehr dabei im Bundestag. Aber würden Sie für Merkel stimmen?

Thierse: Das gehört dazu, wenn man einen Koalitionsvertrag abgeschlossen hat. Wenn man zusammen regieren will, muss man den Kanzlerkandidaten der Partei, mit der man koaliert, auch wählen. Das ist der erste Vertrauensbeweis. Wenn das nicht gut geht, dann kann die Koalition nicht gut gehen - und dann wird es keine Regierung geben.

DOMRADIO.DE: Sie sind nicht nur Politiker, sondern auch engagierter Katholik als Mitglied des ZdK, der katholischen Laienvertretung in Deutschland. Schauen wir doch noch kurz auf die Kirchenpolitik. Was muss sich da tun, wenn die Regierung steht?

Thierse: Wir haben ein sehr bewährtes Verhältnis von Staat und Kirche, eine – wie sie oft genannt wird – kooperative Trennung von Kirche und Staat. Da muss sich nicht wirklich etwas verändern. Was eine der großen Herausforderungen ist, ist die stärkere religiöse und weltanschauliche Pluralität in diesem Land. Unser Staatskirchenrecht werden wir sicherlich zu einem Religionsverfassungsrecht weiter entwickeln, weil eben die Muslime, die ja zahlenmäßig stärker geworden sind, anders strukturiert und organisiert sind. Damit wird sich Kirchenpolitik befassen müssen, ohne die bewährten Verhältnisse zwischen Staat und Kirche zu verändern.

Das Gespräch führte Tobias Fricke.


Wolfgang Thierse (dpa)
Wolfgang Thierse / ( dpa )
Quelle:
DR
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