World Vision fordert Hilfe für Erdbeben-Opfer

Mit Nachbeben wird es noch katastrophaler

Nach dem schweren Erdbeben in der Grenzregion im Südosten der Türkei und dem Norden Syriens sind inzwischen mehr als 5000 Menschen ums Leben gekommen. Es müsse schnell Überlebensfähigkeit hergestellt werden, so World Vision.

Notfallteams suchen im türkischen Adana nach Menschen in den Trümmern eines zerstörten Gebäudes. Mehr als 13 Millionen Menschen in der Türkei sind nach Einschätzung der Regierung von der Erdbebenkatastrophe betroffen. / © Foto: Hussein Malla (KNA)
Notfallteams suchen im türkischen Adana nach Menschen in den Trümmern eines zerstörten Gebäudes. Mehr als 13 Millionen Menschen in der Türkei sind nach Einschätzung der Regierung von der Erdbebenkatastrophe betroffen. / © Foto: Hussein Malla ( KNA )

DOMRADIO.DE: Trümmer und Schutt durch unzählige eingestürzte Häuser, im Netz und im Fernsehen können wir überall Bilder dieser heftigen Zerstörungen durch das Erdbeben in der Türkei sehen. Wie nehmen Sie das Ausmaß der Zerstörung wahr?

Dirk Bathe / © worldvision
Dirk Bathe / © worldvision

Dirk Bathe (Medienreferent der christlichen Kinderhilfsorganisation World Vision Deutschland e.V.): Wir sind im ständigen Kontakt mit unseren Kollegen vor Ort, über das Internet, aber auch ganz klassisch über das Telefon. Was uns die Kollegen schildern, deckt sich mit den Bildern, die wir hier im deutschen Fernsehen geliefert bekommen.

Es sind wahnsinnig viele Häuser eingestürzt, auf türkischer wie auf syrischer Seite. Es gibt immer noch sehr viele Verschüttete, auch wenn die Bergungstrupps schon recht erfolgreich Verschüttete geborgen haben. Aber noch immer müssen Menschen um ihr Leben kämpfen und das bei eisigen Temperaturen und bei einer doch weitgehend zerstörten Infrastruktur.

DOMRADIO.DE: Unter den Betroffen in der Region sind auch viele Geflüchtete aus Syrien in der Türkei.

Bathe: Ja, in der Türkei und natürlich auch Binnenvertriebene in Syrien selbst, im Nordwesten des Landes, wo wir über Partner auch sehr aktiv sind. Wir können diesen Menschen helfen. Sie haben natürlich, wenn sie Geflüchtete auf türkischer Seite sind, gleich zweifach zu leiden.

Sie haben auf der einen Seite das zurückgelassen, was sie hatten, als sie sich auf die Flucht begeben haben und stehen jetzt erneut vor den im wahrsten Sinne des Wortes Trümmern ihrer Existenz auf türkischer Seite. Die syrischen geflüchteten Binnenvertriebenen in Idlib zum Beispiel auf der syrischen Seite, die erreichen wir über Partner. Es gibt zwei geöffnete Grenzübergänge, aber die Partner müssen das für uns vor Ort erledigen, aus Sicherheitsgründen.

DOMRADIO.DE: Die Menschen sind unter Schock. Wir haben auch die Fernsehbilder gestern gesehen. Menschen haben Kinder verloren, Bekannte, Verwandte oder natürlich auch ihr Hab und Gut. Andere sind noch unter den Trümmern eingeschlossen. Welche Notfallmaßnahmen haben Sie eingeleitet und bereiten Sie auch jetzt vor, um den Menschen vor Ort zu helfen?

Ein Gabelstaplerfahrer verlädt in Doha in Katar Hilfspakete für die erdbebengeschädigten Gebiete der Türkei auf dem Luftwaffenstützpunkt Al-Udeid. / © Kamran Jebreili (KNA)
Ein Gabelstaplerfahrer verlädt in Doha in Katar Hilfspakete für die erdbebengeschädigten Gebiete der Türkei auf dem Luftwaffenstützpunkt Al-Udeid. / © Kamran Jebreili ( KNA )

Bathe: Das allererste war natürlich das, was alle Menschen in solchen betroffenen Regionen machen. Wenn man überlebt hat, wenn man sieht, dass man selbst in einer Situation ist, in der man anderen helfen kann, dann tut man das.

So sind unsere Kollegen vor Ort zu ihren Nachbarn gegangen, haben gefragt, was sie tun können. Sie haben mitgeholfen Steine zu schleppen, Sand beiseite zu schieben. Jetzt sind wir in der Lage, weil wir schon vorher dezentrale Lager aufgebaut haben, was wir sehr häufig in solchen Krisenregionen machen, zum Beispiel Öfen und Brennstoffe zu verteilen. Die werden dann in Sammelzentren aufgebaut oder in medizinischen Notfallzentren, um dort die Menschen zu wärmen. Denn Wärme ist jetzt enorm wichtig.

Dirk Bathe (Medienreferent der Kinderhilfsorganisation World Vision Deutschland e.V.)

"Alles das, was man braucht, um möglichst schnell wieder so etwas wie eine Überlebensfähigkeit herzustellen."

Der nächste Schritt wird dann sein, dass wir Hygienekits verteilen, Windeln, Seife, alles Mögliche, Desinfektionsmittel, aber auch Kochgeschirre, Zelte und Decken, alles das, was man braucht, um möglichst schnell wieder so etwas wie eine Überlebensfähigkeit herzustellen.

DOMRADIO.DE: Die Zusammenarbeit mit der Türkei ist vermutlich relativ einfach, aber wie ist in Syrien überhaupt Hilfe leistbar?

Bathe: Es gibt ja schon seit langer Zeit einen grenzüberschreitenden, manche nennen es Korridor, andere Lieferwege. Über den verteilen wir zusammen mit anderen Hilfsorganisationen und der UN Hilfsgüter an Bedürftige. Das ist allerdings wirklich sehr schwierig, denn auf der einen Seite ist Aleppo, auf der anderen Seite ist Idlib.

Auf der einen Seite haben sie die Regierungstruppen der syrischen Machthaber, auf der anderen Seite haben sie Rebellen und Milizen-Organisationen, die von uns auch nicht unbedingt immer zu 100 Prozent genau einordbar sind und auf deren Aussagen man sich auch nicht immer verlassen kann.

Das macht es sehr schwierig. Deswegen bringen wir die Sachen so weit wie möglich ins Land und Partnerorganisationen übernehmen das dann vor Ort. Sie kennen die Gegebenheiten, auch die aktuellen Gegebenheiten, die sich ständig ändern, sehr gut und können dann auch sehr wertvolle Hilfe leisten.

DOMRADIO.DE: Das Erdbeben war das stärkste seit langem und üblicherweise gibt es dann auch einige Nachbeben. Wie groß ist die Sorge, dass die Naturgewalt erneut zuschlägt?

Dirk Bathe (Medienreferent der Kinderhilfsorganisation World Vision Deutschland e.V.)

"Aber eins ist ganz klar, wenn es noch stärkere Nachbeben geben sollte und die Wahrscheinlichkeit ist durchaus gegeben, dann hat das verheerende Konsequenzen."

Bathe: Die ist natürlich schon groß. Ob es jetzt noch zu einem von einigen Seiten befürchteten sehr großen Beben kommen wird, das können wir nicht voraussagen. Wir haben keine Glaskugel für so etwas. Das können ja nicht mal die Experten im Bereich Erdbebenforschung.

Aber eines ist ganz klar: Wenn es noch stärkere Nachbeben geben sollte – und die Wahrscheinlichkeit ist durchaus gegeben –, dann hat das verheerende Konsequenzen. Denn dann stürzen die Häuser ein, die jetzt beschädigt sind, aber noch stehen. Das erschwert natürlich auch weiterhin die Rettung von Verschütteten, die noch unter Trümmern liegen. Außerdem wird die Infrastruktur, die noch da ist, wie Krankenhäuser, Feuerwehren und so weiter, dann noch einmal beschädigt werden. Dann ist die Situation noch katastrophaler als bislang.

DOMRADIO.DE: Wenn Menschen jetzt spenden wollen, wie sicher können die gehen, dass es nicht in irgendwelchen Taschen von Milizen in Syrien versackt?

Barthe: Sehr sicher, denn zumindest wir von World Vision, aber ich glaube, da kann ich auch im Namen anderer NGOs, also Hilfsorganisationen, sprechen, wir bezahlen keine Wegesteuern oder Wegezoll, um Hilfsgüter zu Bedürftigen zu bringen. Wir sind in dieser Situation in Syrien auch selbst noch nie damit konfrontiert worden.

Da kann man 100 Prozent sicher sein, dass das nicht passieren wird. Über unsere Hilfsorganisationen, die sich in der "Aktion Deutschland hilft" verbündet haben, herrscht auch eine absolute Übereinstimmung in der Art des Vorgehens. Bevor wir so etwas machen und dadurch zum Beispiel auch den Kauf von Waffen finanzieren würden, machen wir es lieber gar nicht. Das hat sich auch herumgesprochen und wir werden da nicht weiter bedrängt.

Das Interview führte Tobias Fricke.

Steinmeier erschüttert von Ausmaß der Erdbeben in Türkei und Syrien

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat den von schweren Erdbeben betroffenen Menschen in der Türkei und Syrien seine Anteilnahme ausgesprochen. "Das Ausmaß von Tod und Zerstörung erschüttert mich tief", erklärte Steinmeier am Montag in Berlin.

Seine Gedanken seien bei den vielen Opfern, seine Anteilnahme gelte ihren Familien. Seine Hoffnung richte sich darauf, "dass noch viele aus den Trümmern gerettet werden können", erklärte Steinmeier weiter.

Zivilisten und Mitglieder der Weißhelme arbeiten in Idlib in Syrien an der Rettung von verschütteten Menschen / © Anas Alkharboutli (dpa)
Zivilisten und Mitglieder der Weißhelme arbeiten in Idlib in Syrien an der Rettung von verschütteten Menschen / © Anas Alkharboutli ( dpa )
Quelle:
DR