DOMRADIO.DE: Seit der Coronazeit haben Verschwörungstheoretiker und Rechtsextreme ihre Versammlungen als Spaziergänge deklariert, auch um Versammlungsverbote zu umgehen. Holen sich die Demokraten in Wuppertal diesen Begriff "Spaziergang" wieder zurück?
Dr. Werner Kleine (Pastoralreferent in der Citypastoral und in der Wiedereintrittsstelle Wuppertal): Spazierengehen ist etwas Wunderbares. In einer gewissen Weise wollen wir uns diesen Begriff zurückholen. Es kann nicht sein, dass Begriffe desavouiert werden, die eigentlich eine zutiefst positive Bedeutung haben.
Wir haben über diesen Begriff nachgedacht. Warum sollen wir uns von den Leuten am rechten Rand einen schönen Begriff kaputt machen lassen? Deswegen haben wir uns entschlossen, für die Demokratie und für den Rechtsstaat einzutreten. Das tun wir, indem wir spazieren gehen.
DOMRADIO.DE: Was bedeutet das genau? Spaziergang für die Demokratie? Ziehen Sie mit demokratiefreundlichen Transparenten durch die Stadt?
Kleine: Ja. Ich habe bei dem allerersten Spaziergang gesagt, dass wir nicht gegen etwas auf die Straße gehen wollen. Das ist ein Impuls der großen Demonstration, die wir Gott sei Dank in den letzten Tagen gesehen haben. Man demonstriert oft gegen die AfD oder gegen wen auch immer man zu Felde zieht.
Wir wollen für die Demokratie und für die Rechtsstaatlichkeit auf die Straße gehen. Wir tragen ein großes Transparent vorweg, auf dem "Spaziergang für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit" steht. Entsprechende Plakate werden getragen, um ein positives Signal zu setzen.
DOMRADIO.DE: Sie wollen immer montags losgehen. Was haben Sie bei der Premiere der Aktion für Erfahrungen gesammelt?
Kleine: Wir hatten bewusst tiefgestapelt. Wir haben rund 50 Personen erwartet, weil es in der Woche war und nicht an einem Wochenende.
Die Solidargemeinschaft in Wuppertal beträgt etwa zehn Personen. Es gibt einen Unterstützerkreis, der insgesamt 20 bis 25 Personen hat. Wenn jeder einen mitbringt, sind wir um die 50. Schlussendlich sind nach Schätzung der Polizei über 250 Menschen gekommen. Das war ein sehr guter Auftakt.
Es war eine sehr gute, positive Stimmung. Als wir vor der Laurentiuskirche auf dem Laurentiusplatz angekommen sind, kam die nochmal mehr zum Tragen als wir dort das Lied "Möge die Straße uns zusammenführen" gesungen haben.
Es haben alle mitgesungen, auch diejenigen, die vielleicht gar nicht gottgläubig sind. Auf diese Weise haben wir ein positives Zeichen gesetzt.
DOMRADIO.DE: Diese "Spaziergänge für Demokratie" sind für die Fastenzeit geplant. Denken Sie schon darüber hinaus an die Europawahl, die im Juni ansteht?
Kleine: Im Idealfall geht es nach der Fastenzeit weiter. Wir haben in der Solidargemeinschaft überlegt, dass wir etwas tun wollen, was vom organisatorischen Aufwand händelbar ist, weil man es verstetigt. Wir haben dann erst überlegt, ob wir es einmal im Monat machen. Wir waren doch schnell im Konsens, dass man das wöchentlich machen müsste.
Wir wollen erst Erfahrungen sammeln. Die Fastenzeit bietet sich als begrenzter Zeitraum hervorragend an. Man kann jetzt schon sagen, dass es nach der Fastenzeit weitergehen wird. Ob man es in diesem wöchentlichen Rhythmus oder zweiwöchentlich macht, muss man sehen. Ich denke aber, dass wir bei dem wöchentlichen Rhythmus bleiben werden.
DOMRADIO.DE: Warum ist es Ihnen und auch der katholischen Citykirche wichtig, mit anderen zusammen Farbe für Demokratie zu bekennen?
Kleine: Ich habe die Solidargemeinschaft nach einer Rede initiiert, die ich am 20. Juli gehalten habe. Wir dürfen nicht nur reden. Die gesellschaftliche Mitte ist oft sehr leise, aber sie trägt die breite Gesellschaft. Dieser gesellschaftlichen Mitte müssen wir eine laute Stimme verleihen. Das passiert jetzt.
Das ist das Ziel, das wir mit der Solidargemeinschaft haben, in der sich Bürgerinnen und Bürger Wuppertals aus freien Stücken zusammengetan haben. Wir gehen für das auf die Straße, was uns wichtig ist.
Denn wenn man in diese Welt guckt, dann merkt man, dass in Ländern, in denen die Extreme stark werden, letzten Endes immer die Bevölkerung leidet. Uns geht es darum, die Demokratie zu stärken. Deswegen gehen wir auf die Straße.
Das Interview führte Tim Helssen.