DOMRADIO.DE: Herr Professor Ohnesorg, in den Oktober 2011 fällt die Geburtsstunde der Kulturstiftung Kölner Dom. Sie waren von Anfang an mit dabei. Wie kam es zu dieser Idee?
Prof. Franz Xaver Ohnesorg (Vorsitzender des Kuratoriums Kulturstiftung Kölner Dom): Dass Kölns Kathedrale mit all ihrem kulturellen Potenzial auf Zukunft hin auf eine verlässliche Unterstützung angewiesen sein würde, zeichnete sich damals angesichts rückläufiger Kirchensteuermittel bereits ab, selbst wenn das Ausmaß noch nicht annähernd so dramatisch war wie heute. Hier gegenzusteuern und gemeinsam mit dem recht unabhängigen Domkapitel ein Instrument zu schaffen, das die Wirkmächtigkeit des Kölner Doms mit allen seinen Kulturgütern erhalten hilft, verdankt sich einer Vision des damaligen Dompropstes Dr. Norbert Feldhoff, der die weise Idee zu einer selbständigen Kulturstiftung Kölner Dom entwickelte. Seine Vorstellung war, mögliche Spender ab einer gewissen Spendenhöhe mit einem vor den Portalen eingelassenen Stern zu ehren und damit dauerhaft einen ganzen Sternenteppich entstehen zu lassen. Er nannte dieses Generationenprojekt „11.000 Sterne für den Kölner Dom“. Darin kommt zum einen eine für Köln symbolische Zahl zum Ausdruck und zum anderen, dass sich noch viele nachkommende Generationen daran beteiligen mögen, eben weil die Aufgaben nicht geringer werden. In der Tat wird dieser Sternenteppich von Jahr zu Jahr größer.
DOMRADIO.DE: Was genau hat es mit diesen Sternen auf sich?
Ohnesorg: Mit in den Boden eingelassenen goldschimmernden Sternen, die auf Wunsch den Namen ihres jeweiligen Spenders oder auch seiner ganzen Familie tragen, sollte und soll den Kölnern ein sichtbares Bekenntnis zu ihrem Dom ermöglicht werden. Denn sie sind nun mal mit der Geschichte der Heiligen Drei Könige, deren Magie und Pilgerschaft der Leitstern für die Stiftung war, emotional sehr verbunden – gerade weil hier Orient und Okzident aufeinandertreffen und sich über dieses interkulturelle Thema viele Menschen mit dem Dom identifizieren können. Feldhoffs Fundraising-Idee eines Sternenteppichs, der sich rund um den Dom legt – das Sternenmotiv ist dabei dem Stern von Bethlehem entlehnt, der sich ja auch auf der Spitze des Vierungsturms befindet – entwickelte sich schnell zu einer „goldenen“ Idee, wie ich das gerne nenne. Denn bis heute sind in der Summe knapp 600 Sterne verlegt worden, davon 500 kleine, die für eine Spende von jeweils 5.000 Euro stehen, und über 90 große, die jeweils einer Spendensumme von 11.000 Euro entsprechen. Das nenne ich eine Erfolgsgeschichte. Hier lässt sich mit den Händen greifen, wie tief die Liebe der Kölner zu „ihrem“ Dom verankert ist.
DOMRADIO.DE: Wie gesagt, Sie waren ab dem Gründungstag an mit im Boot. Wie ist es zu dieser Zusammenarbeit gekommen? Wer hat Sie für dieses Ehrenamt, den Vorsitz des Kuratoriums, das den Stiftungsvorstand bei der Vergabe der Gelder berät, geworben?
Ohnesorg: Es war Dompropst Feldhoff, der damals auf mich zukam. Und ich habe freudig zugesagt, weil ich mich für die Idee einer Stiftung sofort begeistern konnte. Vom Domkapitel dann nominiert zu werden, habe ich als große Ehre empfunden. Seit meiner Kindheit – ich bin ja in Bayern aufgewachsen – haben mich die drei Weisen aus dem Morgenland, wie sie da in ihrer ganzen Pracht und Theatralik jedes Jahr an der Krippe standen, fasziniert. Hier gab es also immer schon eine große emotionale Nähe. Zudem sind die Heiligen Drei Könige ein Vorbild für Wanderschaft. Bis heute laden sie – neben der äußeren offiziellen Dreikönigswallfahrt immer Ende September rund um das Patrozinium des Domes – zu einer inneren Pilgerreise ein und bieten mit ihrer Mission Identifikationsmöglichkeiten für unzählig viele Menschen.
Weil ich auch damals schon Vorstandsmitglied im Zentraldombauverein (ZDV) war, hatten wir bei der Gründung der Kulturstiftung allerdings von Anfang an klar, dass hier keine Konkurrenz entstehen soll. Seit 180 Jahren ist der ZDV für den Erhalt des Domes verantwortlich. Das ist seine zentrale Bestimmung. Und die wollte ihm die neue Stiftung auch keinesfalls streitig machen, zumal sie eben für die Kunstwerke und insbesondere die Förderung der Dommusik zuständig ist. Das ist eindeutig definiert. Mir wurde dann die Aufgabe übertragen, das siebenköpfige Kuratorium zu führen. Schnell stellte sich heraus, dass es mit hochengagierten Mitgliedern besetzt wurde, die damals wie heute eine hervorragende Arbeit leisten, und Feldhoffs Konzept aufging.
DOMRADIO.DE: Der Kölner Dom ist zunächst einmal Gotteshaus, darüber hinaus für viele Kölner auch ein Symbol für Heimat und nicht zuletzt für die vielen tausend Touristen ein bedeutender Ort der europäischen Kultur- und Geistesgeschichte mit einem reichhaltigen Kunstschatz. Worin sieht die Kulturstiftung ihren primären Auftrag?
Ohnesorg: Der Förderschwerpunkt liegt auf der Finanzierung des umfangreichen kultur-, kunst- und kirchengeschichtlichen sowie spirituellen Angebots des Domes. Dazu gehören beispielsweise der Erwerb bzw. Rückerwerb von Kunstwerken, die Restaurierung von Kunstgegenständen, die Unterstützung der Dommusik – hier besonders die Realisierung von Konzerten und Konzertreisen der Chöre, Auftragskompositionen oder die Restaurierung der Domorgeln – der Ausbau des qualifizierten Führungsangebots sowie die Förderung von Wissenschaft und Forschung.
DOMRADIO.DE: Können Sie konkrete Beispiele für Fördermaßnahmen benennen?
Ohnesorg: Manchmal handelt es sich um Sofortmaßnahmen wie zum Beispiel der Reparatur des Klöppels am „Dicken Pitter“. Aber die meisten Projekte bedürfen eines längeren Vorlaufs. So war die Kulturstiftung maßgeblich an der Gestaltung eines neuen Vorraums des Baptisteriums, dem ältesten Taufort der frühen Christen im 5. Jahrhundert, beteiligt oder an der umfassenden Restaurierung des Christusfensters aus dem frühen 15. Jahrhundert, die letztlich mit 200.000 Euro vollfinanziert wurde. Auch „Dona nobis pacem“, die spektakuläre Illumination auf der Außenfassade des Domes 2018 zum Gedenken an das Ende des Ersten Weltkriegs vor 100 Jahren wurde von der Kulturstiftung unterstützt. Nicht zu vergessen das künstlerisch gestaltete Schmiedeeisengitter an der Domnordseite, um die Portale des Nordquerhauses vor Vandalismus zu schützen. Allein in dieses Projekt sind 250.000 Euro seitens der Kulturstiftung geflossen. Und dann – wie gesagt – richtet sich unser Augenmerk regelmäßig auch auf die Dommusik.
DOMRADIO.DE: Apropos: Als Gründungsintendant der Kölner Philharmonie liegt Ihnen – das lässt sich unschwer erahnen – alles, was mit Musik am Dom zu tun hat, besonders am Herzen. Wie sieht hier die Förderung aus?
Ohnesorg: In meiner Liebe zur Musik sehe ich in der Tat einen wesentlichen Grund für meine Berufung. Um Domkapellmeister Metternich und seinem Team in der Dommusik Planungssicherheit zu geben, besteht hier seit 2017 eine dauerhafte Partnerschaft, die den verantwortlichen Dommusikern jährlich für ihre ganz unterschiedlichen musikalischen Projekte ein Budget von 60.000 Euro zusichert. Damit können Auftragskompositionen zu außergewöhnlichen Anlässen wie die Motette „Laetatus sum“ von Naji Hakim zum 150-jährigen Bestehen des Kölner Domchores 2013 oder „Predella“, ein avantgardistisches Werk der Komponistin Lisa Streich für ein „Großes Domkonzert“ mit dem Gürzenich-Orchester Köln, sowie die Finanzierung von Solisten für die Konzertreihe „Geistliche Musik am Dreikönigenschrein“ ermöglicht werden.
Zu den aktuelleren Projekten gehörten außerdem das zum Lockdown im vergangenen Frühjahr eigens errichtete Chorpodest im Südquerhaus, das coronakonform kleinen und inzwischen auch wieder größeren Chorgruppen den notwendigen Abstand zueinander ermöglicht, oder die Implementierung einer neuen Stelle für Management und Organisation, mit der sich die Dommusik neu aufstellen konnte. Schließlich hat sich die Dommusik unter der Leitung der Herren Eberhard Metternich, Oliver Sperling und Winfried Krane – und nicht zu vergessen mit den Domorganisten – zu einer Institution von europäischem Rang entwickelt, deren exzellenter Qualität Rechnung zu tragen ist und die es mit den entsprechenden Unterstützungsmaßnahmen weiterhin zu pflegen gilt.
DOMRADIO.DE: Wer stimmt denn darüber ab, welche Projekte in welchem Maße gefördert werden?
Ohnesorg: Was die musikalischen Aktionen angeht, stehen wir in ständigem Dialog mit der Leitung der Dommusik. Insofern sind wir in deren Planungen immer sehr frühzeitig eingebunden. Die Entscheidung für eine Förderung trifft dann der dreiköpfige Stiftungsvorstand – die Herren Helmut Heinen, Alexander Wüerst und Dompropst Monsignore Guido Assmann – während die praktische Umsetzung durch die Geschäftsführung – Klaus Bispinck und Simone Dudel – erfolgt. Das Kuratorium ist für die fachliche Beratung der zuvor eingegangenen Anträge zuständig, trifft eine Vorauswahl und gibt dazu eine entsprechende Empfehlung ab. Hier ziehen alle sehr konstruktiv an einem Strang. Unser direkter Kontakt zu Dombaumeister Peter Füssenich, Domorganist Winfried Bönig oder dem Domkapitel gibt jedem Antragsteller die Gewähr, dass es zügig vorangeht. Und innerhalb der hocheffizienten Geschäftsführung verständigt man sich darauf, in welcher Größenordnung überhaupt gefördert werden kann. Natürlich passiert es auch schon mal, dass wir einen Antrag ablehnen, der nicht zu unserer Satzung passt. Eventuell aber kommen dann andere Förderer infrage.
DOMRADIO.DE: Dass das kulturelle Leben in den letzten anderthalb Jahren so gut wie nicht stattgefunden hat und sich von den Beschränkungen der geltenden Coronaregeln nur mühsam erholt, schmerzt viele Kulturschaffende, aber auch die Konsumenten von Kultur. Wie hat sich Corona denn auf die Stiftung ausgewirkt?
Ohnesorg: Zum Glück hatten wir während der Pandemie so gut wie keine Einbußen beim Spendenaufkommen, was nicht zuletzt der hervorragenden Arbeit der Geschäftsführung zu verdanken ist. Auch der traditionelle Festakt aus Anlass der Sternesegnung, bei dem immer auf sehr berührende Weise die tiefe Zuneigung aller Spender und ihrer Familien für den Dom zum Ausdruck kommt und bei dem sich der Dompropst im Namen des Domes mit einer Urkunde zu dem gespendeten Stern sehr herzlich bedankt, konnte stattfinden. Was im Übrigen für die meisten ein hochemotionales Ereignis ist, zumal dieser Akt der Wertschätzung und Auszeichnung – jedenfalls außerhalb Corona – auch in unmittelbarer Nähe zu den Heiligen Drei Königen, nämlich vor dem Schrein im Hochchor, stattfindet.
Und trotzdem haben wir Corona auf andere Weise zu spüren bekommen: Der Dom selbst hat durch die monatelange Schließung enorme Einnahmeverluste zu verzeichnen. Daher standen sowohl im vergangenen als auch in diesem Sommer zum allerersten Mal die Orgelfeierstunden auf unserer Förderagenda, die sich sonst komplett durch die Kollekten am Ende eines Konzertes tragen. Wenn wir hier nicht für die Gagen der Künstler aufgekommen wären, da es wegen der wenigen zugelassenen Zuhörer so gut wie keine Einnahmen gab, hätten diese vom Domradio übertragenen Sommerkonzerte im Dom ersatzlos ausfallen müssen.
DOMRADIO.DE: Über welches Volumen verfügt die Stiftung inzwischen? Und wie kann dauerhafte Förderung gewährleistet bleiben, wenn die Zinsen erst einmal bei Null stehen bleiben?
Ohnesorg: Das Stiftungskapital, das auf Dauer angelegt ist und aus dessen Erträgen viele Förderprojekte finanziert werden, liegt dank großzügiger Zustiftungen bei rund drei Millionen Euro. Da in der aktuellen Niedrigzinsphase die Erträge alleine nicht ausreichen, um die vielfältigen Projekte zu unterstützen, wirbt die Stiftung für freiverwendbare Spenden. Diese werden vornehmlich im Rahmen der Aktion „11.000 Sterne für den Kölner Dom“ eingeworben. In den zehn Jahren seit Bestehen konnten bereits zwei Millionen Euro für Fördermaßnahmen ausgegeben werden. Das ist schon eine beachtliche Summe. Wenn man bedenkt, dass das allein über Spenden hereingekommen ist, hatte Feldhoff damals schon grundsätzlich eine wirklich geniale Idee. Allerdings ist das Fundraising auch eine permanente Herausforderung. Da heißt es, unermüdlich am Ball zu bleiben und für die Belange des Domes zu werben. Schließlich sollen die Menschen erfahren, welchen enormen Förderbedarf es da gibt, soll diese Kirche auch in Zukunft mit kulturellem Leben gefüllt bleiben.
DOMRADIO.DE: Welchen Beitrag können denn passionierte Domliebhaber, denen das ein Herzensanliegen ist, leisten?
Ohnesorg: Spenden, spenden, spenden. Und das in beliebiger Höhe. Wir freuen uns über jede Zuwendung. Denn die Liste dessen, was förderungswürdig ist und als nächstes angepackt werden soll, bleibt lang.
DOMRADIO.DE: Hatten Sie denn in den vergangenen zehn Jahren – seit Bestehen der Stiftung – auch schon mal ein Lieblingsprojekt?
Ohnesorg: Für mich war einer der schönsten Momente, als wir am 1. November 2013 Domkapellmeister Metternich zum 150-jährigen Bestehen seines Domchores im Auftrag des Domkapitels die Originalpartitur einer Vertonung des 122. Psalms „Laetatus sum“ von Naji Hakim, einem der bedeutendsten Komponisten geistlicher Musik der Gegenwart, überreichen konnten und uns mit diesem Geschenk eine echte Überraschung gelungen ist. Und dann gibt es eine Vielzahl wirklich bewegender Konzerte, an die ich mich erinnere und unter denen für mich nochmals das Oratorium „L’enfance du Christ“ von Hèctor Berlioz mit allen Domchören unter der Leitung von Generalmusikdirektor Francois-Xavier Roth hervorsticht. Hier zeigte sich eine glückliche Symbiose von Raum und Musik: Die Chöre waren an unterschiedlichen Orten im Dom platziert, und es entstand ein magischer Raumklang, der den ganzen Dom erfüllte. Für mich unvergesslich. Köln hat einfach ein wahnsinniges Glück, so gute Leute zu haben. Was hier alle gemeinsam zustande bringen, ist unglaublich faszinierend.
DOMRADIO.DE: Zu einem Rückblick gehört immer auch der Ausblick. Was beschäftigt Sie als nächstes?
Ohnesorg: Ein ganz aktuelles Lieblingsprojekt, das ich selbst ganz wunderbar finde und für das ich aus Überzeugung die Werbetrommel rühre, ist die geplante neue Orgel für die Marienkapelle; ein Instrument, das über die Chorschranken hinaus nach oben gefahren werden kann und grundsätzlich beweglich sein wird. Das heißt, diese geplante neue Orgel, für die wir eine gezielte Spendenkampagne im Dezember starten, wird für die Konzerte der Domchöre am Dreikönigenschrein ein großer Gewinn sein. Hier hoffe ich wieder auf ein großzügiges Spendenaufkommen. Denn die Kulturstiftung Kölner Dom lebt nun mal von der Spendenfreudigkeit derer, die ein Herz für den Kölner Dom haben. Das macht ihren Kern aus.
Das Interview führte Beatrice Tomasetti.