Geduldig zieht Schakir Namazow einen hellen Stoff unter der Nadel her, während der Motor seiner Nähmaschine rattert. Immer wieder zupft er an dem Faden, prüft die Naht und rückt die Brille auf seiner Nasenspitze zurecht. Früher, erzählt er, sei er Unternehmer in Odessa gewesen und oft für Geschäfte in die Türkei gereist. Doch seit er in Deutschland ist, hat er nichts zu tun, noch hapert es an der Sprache.
Seit der 62-Jährige im vergangenen Jahr aus der Ukraine geflüchtet ist, möchte er endlich wieder produktiv sein. Darum besucht er den interkulturellen Nähkreis in dem kleinen Eifelstädtchen Zülpich. Dort will Schakir Namazow nähen lernen, um damit irgendwann etwas zum Familieneinkommen beizutragen.
Jeden Montagnachmittag treffen sich in dem kleinen Ladenlokal an der Hauptstraße von Zülpich Deutsche und Zugewanderte. Irgendwer bringt immer Kuchen mit, es gibt frischen Kaffee, es wird geplaudert – und genäht, darum trägt der Treff auch den Namen "Nähkästchen".
Begegnung und Austausch sind die Idee dieses Projekts, das zum sogenannten "ECK-Punkt" in Zülpich gehört. Dort gibt es auch Computerkurse, Beratung oder Seelsorge, jeden Tag gibt es unterschiedliche Angebote.
Niederschwellige Hilfe
Es sei niederschwelliger Zugang zu Information und Hilfe, "für Menschen, die sich sonst nirgendwo hin trauen", sagt die Koordinatorin und Engagementförderin der Katholischen Kirchengemeinde Marianne Komp: "Die würden nicht einfach zum Sozialamt gehen oder eine andere Hilfestelle aufsuchen. Bei uns geht es erst einmal darum, dass sie sich wohlfühlen. Und dann versuchen wir, sie an die Hand zu nehmen und ihnen weiterzuhelfen."
Der Lotsenpunkt in Zülpich ist einer von insgesamt 50 im ganzen Erzbistum Köln. Seit 10 Jahren gibt es diese Anlaufstellen, die unkompliziert und unbürokratisch Hilfe vor Ort anbieten und in dieser Form bundesweit einzigartig sind. Die Lotsenpunkte sind offen für jeden, egal ob und welcher Religion man angehört. Getragen werden sie von den örtlichen Pfarrgemeinden, der Caritas im Erzbistum Köln und den vielen Ehrenamtlern.
Ehrenamtler tragen das Projekt
Jürgen Preuß ist einer der Soziallotsinnen und Soziallotsen, die eigens für diese Tätigkeit geschult wurden und in Zülpich ihre Hilfe anbieten: Über 40 Jahre hat er beim Sozialamt gearbeitet, jetzt ist er im Ruhestand und freut sich, dass er seine langjährige Erfahrung als Ehrenamtler weitergeben kann: Egal, ob es um komplizierte Formulare geht, die Suche nach Kinderbetreuung, Sprachbarrieren oder Geldsorgen, er und seine Kolleginnen und Kollegen haben für jeden Besucher ein offenes Ohr. "Mir geht es um die Menschen", sagt Preuß, "dass ich Hilfesuchende unterstützen kann."
Und das Angebot wird angenommen, teilweise stünden die Leute Schlage, erzählt Marianne Komp: "Das hat sich herumgesprochen." Der wichtigste Unterschied zu kommunalen Angeboten sei die Zeit: "Die Ehrenamtlichen schenken den Menschen, die hierherkommen, ihre Zeit. Sie hören zu, sind empathisch und stecken da ganz viel Liebe rein", sagt sie. Da wird auch mal eine Stunde lang gemeinsam ein kompliziertes Formular von der Rentenkasse ausgefüllt. "Ich glaube, das ist der Unterschied", sagt Komp.
Vernetzung ist wichtig
Dabei hat nicht jeder Soziallotse und jede Soziallotsin eine Lösung für alle Probleme. Aber es gibt immer jemanden, der weiß, wen man fragen könnte. Auf die Vernetzung komme es an, betont Komp. Darum stehen die Lotsenpunkte auch unter dem Motto "Irgendwas geht immer".
Auch Elisabeth Pilnei und Beatrix Veithen sind seit vielen Jahren dabei und organisieren den interkulturellen Nähkreis in Zülpich: Beim Nähen – die Erfahrung haben sie gemacht – kommt man ins Gespräch, der Zugang zu den Menschen sei einfacher, sagt Beatrix Veithen.
Und Elisabeth Pilnei hat ihr ganzes Leben schon gerne Handarbeiten erstellt, jetzt ist die Rentnerin und freut sich, dass sie ihr Können weitergeben und mit ihrer Zeit etwas Sinnvolles tun kann: "Mir geht es gut, ich habe viel Glück gehabt in meinem Leben", sagt sie. "Und davon möchte ich etwas weitergeben."