DOMRADIO.DE: Nach der Reform des kirchlichen Arbeitsrechts muss demnach eine Mitarbeiterin eines katholischen Kindergartens, die zum Beispiel in einer Partnerschaft mit ihrer Frau lebt, künftig nicht mehr um ihren Job bangen?
Bruno Schrage (Caritas im Erzbistum Köln): Die gute Nachricht ist: Nein, sie wird nicht mehr gekündigt. Sie muss nicht um ihren Job bangen. Diese klassischen Loyalitätsobliegenheiten des § 5 sind, Gott sei Dank, aus Sicht der Caritas, aber ich glaube auch, vieler oder aller Mitarbeitenden in Kirche und Caritas, Geschichte. Diese Erzieherin wird höchstens darauf achten müssen, dass sie das in ihrem privaten Kontext hält.
Sie sollte nicht damit sozusagen an die Öffentlichkeit gehen und sich für die Belange gleichgeschlechtlicher Partnerschaften einsetzen. Denn dann könnte es sehr wohl wiederum sein, dass man ihr vorwerfen würde, dass sie gegen tragende Grundsätze der katholischen Kirche öffentlich eintritt. Dann könnte ein Bischof dagegen vorgehen.
Das ist natürlich noch so, dass dahinter ein eher binäres heterosexuelles Menschenbild in der katholischen Lehre bestehen bleibt. Aber die gute Nachricht ist jetzt erst mal: Die Bischöfe haben ein Einsehen. Vielleicht sind sie sogar richtig überzeugt davon, dass es gut ist, wenn wir nicht unter die Bettdecke schauen wollen und dass nicht über moralische Grundsätze Menschen gewonnen werden, sondern dass sie einfach aus tiefem sozialen Engagement bei uns arbeiten.
DOMRADIO.DE: Die Deutsche Bischofskonferenz schreibt, dass künftig Vielfalt in kirchlichen Einrichtungen als Bereicherung anerkannt wird. Das klingt ja eigentlich gut. Aber trotzdem haben Sie noch eine Kritik, oder?
Schrage: Erst einmal ist ein Riesenfortschritt gemacht worden, das muss man sagen. Das hat die Initiative #OutinChurch sicherlich den Bischöfen auch abgerungen, auch die Gesetzgebung des Europäischen Gerichtshofs. Aber es heißt jetzt, alle Mitarbeitenden können und sollen unabhängig von ihren konkreten Aufgaben, ihrer Herkunft, ihrer Religion, ihres Geschlechts, ihrer sexuellen Identität und ihrer Lebensform Repräsentantinnen und Repräsentanten der Liebe Gottes sein. Damit sind sie Teil einer dienenden Kirche. Das ist erst mal gut.
Hier geht es um geschlechtergerechte Personalförderung, Vereinbarkeit von Beruf und Familie und Sorgetätigkeiten, behindertengerechte, barrierefreie Teilhabe, um Führungsmodelle auch in Teilzeit oder geteilte Leitung. Das ist ein starkes Bekenntnis, von dem ich sagen würde, es steht zur Diversität, zu Beruf und Familie, zu gerechtem Lohn, Ausschluss von jeglicher Diskriminierung wegen Religion, Identität, Herkunft, Kultur oder wie auch immer. Das ist erst mal total gut. Da wollen wir nicht wieder hinter zurück. Gott sei Dank, da sind wir jetzt angekommen.
Dann gibt es aber so ein halbes Bekenntnis zu der heute üblichen Diversität. Das geht in die Richtung von Vielfalt erleben heute in unserer Gesellschaft. Das ist immer noch ein Problem.
Nehmen wir noch mal die Erzieherin. Angenommen, sie würde bei Facebook posten: "Ich habe mich gerade mit meiner Freundin vermählt und ich freue mich total". Gleichzeitig würde man sehen können, dass sie Erzieherin im katholischen Kindergarten ist. Das könnte ein Verstoß gegen die tragenden Grundsätze der katholischen Kirche sein. Ich bin mir allerdings absolut sicher, dass kein karitativer Träger mehr auf die Idee kommen würde, dann den Bischof anzurufen und zu fragen, ob das denn jetzt richtig gewesen sei.
DOMRADIO.DE: Wir müssen auch noch über ein anderes Thema sprechen, nämlich wenn Menschen aus der Kirche austreten, dann kann ihnen weiterhin gekündigt werden. Sie kritisieren das. Warum? Man könnte ja auch sagen, wenn jemand die Kirche ablehnt und austritt, dann ist er vielleicht auch nicht beim passenden Arbeitgeber?
Schrage: Ja, auf den ersten Blick ist das so ein klassisches Schwarz-Weiß-Denken und das ist ja auch total sympathisch, aber ist meistens zu undifferenziert. Es ist schlicht und ergreifend so: Wir werden doch als Kleinkind getauft, das war doch nicht unsere Entscheidung, das haben andere für uns gefällt. Die Bischöfe gehen davon aus, dass Menschen ein positives Erleben von Kirche haben und dass da eine Bindung entstanden ist. Das ist aber nicht so.
Eine junge Kollegin sagte mir kürzlich: Ich kenne diese katholische Kirche seit meinem 15. Lebensjahr nur als Missbrauchskirche. Ein Teil der Menschen, die sich distanzieren und nie diese positive Nähe erlebt haben, treten dann auch aus - und zwar als junge Menschen.
Die will ich aber gewinnen und nicht von vornherein vor der Türe stehen lassen. Das sind zum Teil hoch soziale Engagierte, die meisten zumindest, wenn sie sich bei uns bewerben, wie wir sie erleben. Menschen, ja, die sollen doch bitte reinkommen, die sollen eine gute Pflege machen. Sie sollen als Arzt und Ärztin bei uns arbeiten, die sollen in der EDV arbeiten, die können alle mitwirken an diesem großen Projekt des Jesus von Nazareth.
Ich glaube, die Bischöfe haben aus ihrer eigenen tiefen Bindung zur Kirche den Kirchenaustritt nicht richtig differenziert wahrgenommen. Das ist doch ein anachronistisches Bild von Zugehörigkeit. Wir werben darum, diese Menschen nicht noch zu bedrohen, sondern sie teilhaben zu lassen an dieser guten Kultur, die wir bei der Caritas haben, auch sicherlich in anderen kirchlichen Trägerschaften, und an dem sozialen Engagement. Wenn diese Menschen uns da erleben, werden sie Okay sagen.
Es gibt noch einen zweiten Teil, das sind die, die heute sehr bewusst austreten, aber die fühlen sich natürlich auch von dieser Kirche wirklich nicht mehr vertreten. Da sollte man lieber die Kritik wahrnehmen, die sie haben, als ihnen noch einen Tritt zu geben, wenn sie bei der Kirche arbeiten. Sie sind nämlich hoch engagiert, zutiefst von christlichen Werten identifiziert, leiden aber an dieser männerdominierten und auch in ihren Strukturen sehr machtvollen Kirche, die nicht reformwilligen erscheint.
Das Interview führte Michelle Olion.