Zentralrat der Muslime kritisiert Urteil zu "Halal"-Fleisch

Bio-Siegel für 'Halal'-Schächtung?

Der Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZMD) sieht in dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs gegen das Bio-Siegel für Fleisch aus ritueller Schlachtung eine Diskriminierung religiöser Minderheiten.

Helal-Produkt (auch Halal genannt) in einem türkischen Supermarkt / © Paul Zinken (dpa)
Helal-Produkt (auch Halal genannt) in einem türkischen Supermarkt / © Paul Zinken ( dpa )

Statt die Auswüchse der Massentierhaltung in der EU zu bekämpfen und Maßnahmen zur Reduzierung des Fleischkonsums der europäischen Bevölkerung zu ergreifen, wird durch Rechtsinterpretation religiösen Minderheiten - nämlich Muslimen und Juden - der Zugang zu tierwohlgerechtem Bio-Fleisch verwehrt", sagte der ZMD-Vorsitzende Aiman Mazyek am Donnerstag in Berlin.

Am Dienstag hatte der EuGH in Luxemburg erklärt, dass rituelle Schlachtmethoden nicht die höchsten Tierschutzstandards erfüllten.

Wissenschaftliche Studien hätten gezeigt, dass eine Betäubung zum Zeitpunkt der Schlachtung die Technik sei, die das Tierwohl "am wenigsten beeinträchtigt", hieß es in der Begründung der Richter. Die Praxis der rituellen Schlachtung ohne Betäubung, etwa bei der Produktion von "Halal"-Fleisch nach islamischen Regeln, sei "nicht geeignet, Schmerzen, Stress oder Leiden des Tieres genauso wirksam zu mildern".

Das Leid der Tiere

"Die Entscheidung ist nicht nur eine weitere Einschränkung der Religionsfreiheit aus Luxemburg, sondern auch widersinnig, da sie nicht mehr Tierschutz, sondern weniger Tierschutz bedeutet", erklärte Mazyek weiter. Gerade Muslime seien gehalten, sich für das Tierwohl einzusetzen. Im Islam würden Menschen für jedes Leid, das sie Tieren unnötigerweise zufügten, zur Verantwortung gezogen. Zudem sei nicht bewiesen, dass das Leid der Tiere bei einer Schächtung höher sei als bei einem – teilweise womöglich qualvollen – Tod durch Betäubung.

Hintergrund des EuGH-Urteils war ein Rechtsstreit in Frankreich. Dort setzte sich eine Tierschutzorganisation dafür ein, die Kennzeichnung "ökologischer/biologischer Landbau" für "Halal"-Hacksteaks zu verbieten. Das zuständige französische Gericht bat den EuGH um Klärung. Das arabische Wort "halal" bedeutet "rein" oder "erlaubt". Muslime dürfen nur Fleisch essen, das "halal" ist.

Was sagt die katholische Kirche?

Der katholische Theologe und Biologe Rainer Hagencord plädiert dafür, Tiere als Mitgeschöpfe zu begreifen, die Gott nicht für den Menschen, sondern auf Augenhöhe mit ihm geschaffen hat. "Franziskus von Assisi nennt den Esel Bruder, Papst Franziskus macht in seiner Enzyklika 'Laudato si' das Thema Geschwisterlichkeit stark." Geschwisterlichkeit sei dabei die poetische Übersetzung dessen, was die Biologie Verwandtschaft nennt, "dass wir eben nicht vom Himmel gefallen sind."

Wer aber Tiere als Mitgeschöpfe betrachte, stehe in der Verantwortung, sie auch als solche zu behandeln, so Hagencord weiter. "Wenn wir schauen, wie heute Fleisch hergestellt wird, sehen wir schnell, dass die Fleischfrage eine Systemfrage ist." Im Einklang mit anderen Theologen beschreibt er das System der Massentierhaltung und der Fleischindustrie als "System der strukturellen Sünde, weil sich in diesem System nur die Fleisch- und die Pharmaindustrie dumm und dämlich verdienen". Alle anderen verlieren in Hagencords Augen: die Landwirte, der Boden, das Grundwasser, die Artenvielfalt; Tiere verlieren ihre Würde, Menschen ihre Gesundheit.

Auch in diesem Punkt sieht sich der Theologe ausdrücklich durch die Umweltenzyklika von Papst Franziskus gestärkt. Der Papst stelle in seinem Schreiben klar, dass die Erde nicht in erster Linie für den Menschen da sei, sondern dass die Geschöpfe einen Eigenwert hätten. "Das muss man mal auf eine Putenmastanlage schreiben. Da weiß man, in welche Richtung das gehen kann", meint Hagencord, der selbst seit sechs Jahren auf Fleisch verzichtet. Das sei ihm nicht leicht gefallen, da er eigentlich gerne Fleisch esse; er habe jedoch festgestellt, dass auch die vegetarische Küche eine sehr "kreative und wunderbare Küche" sei.

Auf das Gewissen hören

Jeder Christ müsse bei der Entscheidung über den eigenen Fleischkonsum auf sein Gewissen hören. Er tue sich immer schwer mit Formulierungen wie "man muss, man darf nicht", rate aber dazu, zu überlegen, was "wir über dieses System" und "über die biblische Würdigung der Tiere" wissen. Dann komme man schnell dahin zu sagen: "Ich weiß nicht, ob ich das dann noch darf oder will oder kann."

In Sachen Fleischindustrie sieht der Tierrechtler gerade auch die katholische Kirche in der Pflicht. Schließlich gebe es in fast allen katholischen Krankenhäusern, Altenheimen und Kitas Kantinen. Die Betreiber sollten sich fragen, ob es nicht besser wäre, mit Landwirten zusammenzuarbeiten, die auf ökologischen Landbau umstellen wollen. Solche Betriebe brauchten heute Unterstützung. "Da könnte eine wunderbare Synergie erfolgen. An der Stelle hat die Kirche infrastrukturelle Macht", ist Hagencord überzeugt.

Päpstliche Argumente

Auf den Vorwurf, er solle sich erst einmal um die Not von Menschen weltweit kümmern, bevor er an das Elend der Tiere in Massenhaltung denke, könne er seit "Laudato si" jetzt "sogar päpstlich argumentieren", so der Theologe. Papst Franziskus lasse in seinem Schreiben nämlich keinen Zweifel daran, dass die soziale und die ökologische Frage zutiefst zusammenhängen.

Dadurch, dass die EU etwa hochsubventioniertes Fleisch nach Afrika exportiere, zerstöre sie lokale Märkte, erklärt Hagencord. So könne die Hühnerzüchterin aus dem Senegal ihr Fleisch nicht mehr verkaufen, in der Folge versuche der Sohn sein Glück eben in Europa. Genauso fische die EU-Flotte vor der Küste Senegals in einer industriellen Weise die Fischgründe leer. "Dass bei uns die Flüchtlingsströme ankommen, hat auch damit zu tun, dass wir eine falsche Form der Lebensmittelversorgung exportieren", ist Hagencord überzeugt.


Quelle:
KNA , DR