Es war ein bedeutsamer Tag für die katholische Kirche in Deutschland: Im Juni 2021, einen Tag nach Fronleichnam, trat Kardinal Reinhard Marx, einer der prominentesten deutschen Bischöfe, vor die Kameras und fand deutliche Worte. Die Kirche sei an einem "toten Punkt" angekommen, sagte der Erzbischof von München und Freising - und bot Papst Franziskus seinen Rücktritt an.
Dass der ihn nicht annahm, ist inzwischen Kirchengeschichte, doch das Rücktrittsangebot brachte Marx, weil er damit systemische Verantwortung für den Missbrauchsskandal übernehmen wollte, viel Respekt ein, auch von Kirchenkritikern. Und es spielt eine große Rolle dabei, dass der Kardinal, der an diesem Donnerstag 70 Jahre alt wird, inzwischen als - wenn auch vorsichtiger - Reformer wahrgenommen wird, obwohl er eigentlich ein konservativer Kirchenmann war.
"Ostwestfälischer DNA treu geblieben"
"Marx ist seiner ostwestfälischen DNA immer treu geblieben, das heißt er ist weiterhin ein konservativ-klerikal denkender Mann, der sich jovial, volkstümlich gibt, im Kern aber das männlich-klerikale Ideal der Kirche lebt", sagt der Kirchenrechtler Thomas Schüller von der Universität Münster.
Seit 2008 ist Marx, der 1953 im westfälischen Geseke geboren wurde, als Nachfolger von Joseph Ratzinger und Friedrich Wetter Erzbischof von München und Freising. Vorher war er Bischof von Trier und Weihbischof im Erzbistum Paderborn. 2010 macht Ratzinger als Papst Benedikt XVI. ihn zum Kardinal.
Einer der prominentesten Kirchenleute Deutschlands
Und als solcher wurde er einer der prominentesten Kirchenleute Deutschlands, von 2014 bis 2020, als er nicht mehr antreten wollte, war er Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz.
"Als erster deutscher Bischof hat er im Jahr 2010 eine Missbrauchsstudie in Auftrag gegeben, die Joseph Ratzinger auf dem Münchner Bischofsstuhl schon damals nicht entlasten konnte. Unter seinem Vorsitz hat die Deutsche Bischofskonferenz endlich die MHG-Studie in Auftrag gegeben", schreibt der Sprecher der Reformbewegung "Wir sind Kirche", Christian Weisner, in der Münchner Kirchenzeitung. "Marx ist es dann gelungen, die Bischöfe und das Zentralkomitee der deutschen Katholiken für den Reformprozess des Synodalen Weges in Deutschland zu gewinnen."
Gottesdienst mit queerer Gemeinde
Im März vergangenen Jahres feierte er mit der bislang von seinem Bistum eher stiefmütterlich behandelten queeren katholischen Gemeinde in München einen Gottesdienst, und er fordert inzwischen auch einen Diskurs über die katholische Sexuallehre.
In Theologie, Predigt und Seelsorge sei in der Vergangenheit oft ein negatives Bild menschlicher Sexualität gezeichnet worden: "Sie wurde mit Schuld und Sünde bewehrt, was auch zu Verdrängung und Doppelmoral geführt hat", sagte Marx anlässlich der von ihm initiierten Ausstellung "Verdammte Lust - Kirche.Körper.Kunst" im Freisinger Diözesanmuseum dem Bayerischen Rundfunk.
"Leidenschaft, Lust und Sex gegen Vernunft, Liebe und Moral? Es klingt manchmal ein wenig so, als gebe es entweder ein sündiges, triebgesteuertes und unvernünftiges Leben oder das Ideal der reinen Liebe." Aber das habe wenig mit der Wirklichkeit zu tun. Auch eine Diskussion über den Pflichtzölibat für katholische Priester regte er an. Nach dem aufsehenerregenden Missbrauchsgutachten in seinem Bistum setzte sich Marx mit Betroffenen in dem Gesprächsforum "Betroffene hören" zusammen.
"Nicht mit Ruhm bekleckert"
Doch es gibt auch nach wie vor Kritik an ihm - daran, dass er Reformen in seinem eigenen Bistum engagierter vorantreiben könnte, und an seiner Rolle als Bischof von Trier. "Mit Ruhm bei der Aufarbeitung hat er sich auch nicht bekleckert, vor allem, was seine eklatanten Fehler als Bischof von Trier angeht. Die Trierer Clique in der Deutschen Bischofskonferenz versucht bis heute alles, dass erst nach Dienstende von Marx seine Zeit als Bischof von Trier in Sachen Missbrauch wirklich aufgearbeitet wird", sagt Schüller.
Seiner Einschätzung nach wird Marx künftig aber für die katholische Kirche in Deutschland "keine wesentliche Rolle mehr" spielen. Er sieht ihn als "einen älteren Bischof, der die reformbereiten Mitbrüder zumindest nicht in ihrem Reformeifer blockiert".
"Kaum noch Mitbestimmungsmöglichkeiten in Rom"
Und auch im Vatikan sei sein Einfluss deutlich kleiner geworden. Dort ist er seit 2014 Koordinator des neu errichteten Wirtschaftsrates des Heiligen Stuhls. Der achtköpfigen Kardinalsgruppe, die Franziskus bei der Leitung der Weltkirche beraten und die Apostolische Konstitution "Pastor bonus" über die römische Kurie überarbeiten soll, gehört Marx seit März 2023 allerdings nicht mehr an.
"In Rom hat er durch sein Ausscheiden aus dem Kardinalsrat kaum noch Möglichkeiten, aktiv die große Kirchenpolitik zu bestimmen. Marx steht also in der Abenddämmerung seiner aktiven bischöflichen Dienstzeit."