Die Beteuerungen kamen im Februar Schlag auf Schlag. Nachdem die Initiative #OutInChurch auf die prekäre Beschäftigungssituation queerer Mitarbeitender in der katholischen Kirche aufmerksam gemacht hatte, versicherte Bistum für Bistum: Bei uns haben sie nichts zu befürchten. Manch einer sah in diesen Aussagen nur heiße Luft, sprach von Lippenbekenntnissen. Doch die neue Grundordnung des kirchlichen Dienstes könnte vielerorts nun für Rechtssicherheit sorgen - wenn sich die Bischöfe bei ihrem Ständigen Rat am 21. und 22. November wirklich darauf einigen.
Fehler im System?
Besonders betrifft dies Menschen, die geschieden sind und in zweiter Ehe leben, sowie queere Personen. Queer, das ist ein Sammelbegriff für Menschen, die zum Beispiel homosexuell sind oder die sich nicht mit dem Geschlecht identifizieren, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde. Für die offizielle katholische Lehre sind queere Menschen wie ein Fehler im System. Und das hat fundamentale Auswirkungen.
Aufgrund einem der Kirche gesetzlich zustehenden eigenen Arbeitsrecht, das für die Erzieherin in einer katholischen Kita genauso gilt wie für den Pfarrsekretär und die Pflegekraft sowie die Chefärztin in einem katholischen Krankenhaus, kann sie von ihren Mitarbeitenden bestimmte Loyalitätsverpflichtungen einfordern. Im Klartext bedeutet das: Wer zum Beispiel nach Scheidung wieder zivil heiratet oder in einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft lebt, wird erst gar nicht eingestellt oder kann gekündigt werden.
Das "kann" spielt dabei eine zentrale Rolle. Zwar geriet das kirchliche Arbeitsrecht durch die Rechtsprechung der vergangenen Jahre zunehmend unter Druck, trotzdem obliegt es den Bischöfen und ihren Verwaltungschefs, innerhalb des gesetzlichen Rahmens über das Einhalten oder das Aussetzen von Loyalitätspflichten zu entscheiden. Was in dem einen Bistum zur Kündigung führen kann, mag in dem anderen Bistum niemanden interessieren - manche legen das auch als Willkür aus. Doch die arbeitsrechtlichen Verpflichtungen zu einem Leben gemäß der kirchlichen Sittenlehre sollen nun fallen. Das sorgt bei vielen der direkt betroffenen Menschen für Erleichterung - wenngleich ein Rest Skepsis bleibt.
Grundordnung soll reformiert werden
Maren Evers arbeitet als Theologin in einem größeren deutschen Bistum. Ihr Mann war bereits einmal kirchlich verheiratet und hat sich scheiden lassen, für Evers ist es die erste Ehe. Bei der aktuellen Grundordnung gehe es nur um ein bloßes Faktum, kritisiert sie - und nicht um die "wirkliche Lebensführung" der Person. Um ihrem Job nachgehen zu dürfen, benötigte Evers eine Ausnahmegenehmigung. Ein Jahr lang habe sie darauf warten müssen, erzählt sie: "Da ist in mir was zerbrochen."
Der neuen Grundordnung blickt sie durchaus hoffnungsvoll entgegen - und bleibt zugleich skeptisch. Ob es für eine Theologin in einer zweiten Ehe in Zukunft wirklich einfacher sein werde, eine Stelle in einem eher konservativen deutschen Bistum anzutreten, fragt sie. Dass Evers trotz der anstehenden neuen Rechtslage nicht mit richtigem Namen erkennbar sein möchte, zeugt von einer tiefsitzenden Verunsicherung.
Eine solche Verunsicherung war auch bei einem Pressegespräch von #OutInChurch nach der letzten Versammlung des katholischen Reformprozesses Synodaler Weg zu spüren. Dort war ein grundlegender Text zu einer neuen Sexualmoral an Gegenstimmen der Bischöfe gescheitert. Dass sich ein solcher Eklat mit der neuen Grundordnung wiederholen könnte, hielten die Vertreter der Initiative zwar für unwahrscheinlich, aber nicht für unmöglich.
Bekenntnis zum Diskriminierungsverbot
Auch mehren sich aus der queeren Community die Stimmen, dass die neue Grundordnung erneut ein Bekenntnis zu vielfältigen Formen geschlechtlicher Vielfalt vermissen lasse. Dem widersprach Arbeitsrechtler Hermann Reichold im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Mehr als das Bekenntnis zum Diskriminierungsverbot des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes könne man nicht verlangen: "Das ist eins zu eins das, was auch im weltlichen Arbeitsrecht gilt."
Was den einen zu weit geht, geht anderen noch längst nicht weit genug - das Problem, das sich bei allen kirchlichen Reformdebatten zeigt, spiegelt sich natürlich auch im neuen Arbeitsrecht. Im Gegensatz zu anderen Themenfeldern könnte hier jedoch tatsächlich ein Kompromiss gefunden werden, mit dem eine breite Mehrheit gut leben kann.