Der Einzug der Flüchtlinge ist die Folge eines Aufrufs, den der Würzburger Bischof Friedhelm Hofmann Ende August gestartet hatte. In einer Mail hatte er gemeinsam mit dem Diözesancaritasverband kirchliche Einrichtungen gebeten, Wohnraum für Flüchtlinge anzubieten. Daraufhin hatten sich mehrere Ordensgemeinschaften gemeldet. Um die Flüchtlinge zu versorgen, benötigen die Schwestern weitere Helfer. "Auch Hilfe beim Geschirrspülen wäre wichtig für uns", erklärte Generaloberin Schwester Monika Edinger.
Angst, Trauer und Entmutigung, aber auch Erleichterung, sind in den Gesichtern der 48 Flüchtlinge zu erkennen, die an diesem Montagabend im Würzburger Kloster der Erlöserschwestern ankommen. Flucht und Vertreibung liegen hinter ihnen. Die Stille des Konvents hilft bei der Ankunft, Ruhe zu finden und vielleicht auch ein bisschen Hoffnung. Nur die wenigsten wollen ihre Namen nennen.
Verständlich, die meisten haben nicht nur ihr komplettes Hab und Gut, sondern auch Familienangehörige und Freunde verloren.
Von Äthiopien aus mit Kind nach Deutschland
Genet ist eine Ausnahme. Sie spricht offen über das, was hinter ihr liegt. Doch sind es nur ein paar Sätze in gebrochenem Englisch, dann verstummt sie wieder. Zurückgelassen hat sie ihren Mann und zwei Kinder. Mit dem jüngsten Sohn ist die Äthiopierin nach Deutschland gekommen. Sie deutet auf den achtjährigen Blen. "Wegen ihm habe ich das gemacht, vor allem!" Dann spricht sie leise, erzählt von ihrem Leben als politische Aktivistin und orthodoxe Christin. Sie will nicht sagen, wo ihre Heimat genau ist, "irgendwo im Norden Äthiopiens".
Die Stille im Speisesaal der Erlöserschwestern weicht dem Gemurmel von Unterhaltungen in den verschiedensten Sprachen. Auslöser sind die Ordensfrauen, die sich an die Tische setzen, mit den Jüngsten spielen und aufmunternde Worte an die Erwachsenen weitergeben. Wo Sprache nicht verstanden wird, hilft ein Lächeln. Hektische Tage liegen hinter den Ordensfrauen. Schwester Idika Christiana kommt aus Nigeria und promoviert gerade in Philosophie. "Ich bin sehr glücklich, mich hier einbringen zu können. In meinem Land habe ich 14 Jahre mit Kindern gearbeitet, das kommt mir nun auch hier zugute", bemerkt sie und nimmt die Hand eines kleinen Jungen.
"Wir wünschten uns öfter solche pragmatischen Lösungen"
Die Neuankömmlinge kommen aus den Krisenregionen der Erde. Familien aus Syrien, der Ukraine, aus Kosovo, dem Irak und Iran sind unter den Asylbewerbern. Nach dem Aufruf von Bischof Hofmann haben die Schwestern in sehr kurzer Zeit ihre Räume hergerichtet. "Wir wünschten uns öfter solche pragmatischen Lösungen", betont Paul Beinhöfer, Präsident der Regierung von Unterfranken. Unterkunft und Verpflegung der Flüchtlinge sind eine staatliche Leistung. Die Auszahlung der Geldleistungen übernimmt das Sozialamt der Stadt Würzburg.
"Wir erleben eine völlig neue Situation", sagt Schwester Herigard Schneider, die Stellvertreterin der Generaloberin. Auch die Caritas im Bistum Würzburg hat zum Gelingen beigetragen. Die jungen Frauen und Männer der Berufsfachschule für Logopädie, der Fachakademie für Sozialpädagogik Sankt Hildegard und die Auszubildenden bei Don Bosco haben geholfen, die Räume bezugsfertig zu machen.
Sorge um Angehörige in Syrien
Die Großfamilie aus dem Irak hat eine lange und beschwerliche Reise hinter sich. Mutter, Vater, drei Brüder und eine Schwester sitzen an einem der langen Tische. Allein. Eine Ordensschwester geht auf sie zu, schenkt Wasser nach und lächelt sie aufmunternd an. Ein Ehepaar aus dem syrischen Damaskus ist gesprächiger. Große Sorgen machen sie sich über die Zurückgelassenen: Eltern und Geschwister. Die beiden sind vor dem drohenden Angriff der Terrorgruppe "Islamischer Staat" geflohen. Zwei Wochen waren sie unterwegs: Mit dem Bus bis Kairo, übers Meer nach Italien, von da nach Deutschland mit dem Auto. Viel Geld hätten sie für die Reise bezahlen müssen. "Wir sind froh, erstmal in Sicherheit zu sein", sagt der Mann, der als Anwalt arbeitete.
Der Aufruf zur Schlüsselausgabe ertönt. Jede Familie wird ihr eigenes Zimmer bekommen. Ausruhen können, Durchschlafen und das Gefühl der Sicherheit sind jetzt am Wichtigsten. Das Erlebte, die Ängste und Verluste müssen verarbeitet werden. Kinder sollen wieder lernen, zu spielen. Der große Spielplatz gegenüber dem Kloster wird den Kleinen ein Stück weit helfen, zur Normalität zurückzufinden. Nach wenigen Wochen sollen die Asylbewerber auf Unterkünfte in Unterfranken verteilt werden und Platz machen für Nachrückende. Genet hält ihren Zimmerschlüssel in der Hand. Sie strahlt. Dann macht sie sich auf den Weg.