domradio.de: Sie fordern ein Zuwanderungsgesetz noch in dieser Legislaturperiode. Was genau wünschen Sie sich da?
Heinrich Bedford-Strohm (Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland): Ein Einwanderungsgesetz ist natürlich kein Allheilmittel. Und die Probleme rund um das Thema Flüchtlinge kann das sicherlich nicht lösen. Aber es kann zur Entlastung beitragen. Es kann abdämpfen, dass Menschen über den Weg des Asylrechts versuchen, hierher zu kommen. Es geht um die Menschen, die hier etwas beitragen wollen, aber nach den Kriterien des Asylrechts keine Chance haben, zu bleiben.
Deshalb brauchen wir einen zweiten Weg, mit dem Menschen, die hierher kommen wollen, auch die Möglichkeit dazu haben - nach Kriterien, die genau festgelegt sind. Das entlastet das Asylrecht und schafft einen zweiten Weg, der ja auch im Blick auf die Zukunft unseres eigenen Landes höchst sinnvoll ist. Es wird ja von vielen Seiten immer wieder bestätigt, dass wir Menschen brauchen im Zuge des demografischen Wandels. Es macht einfach Sinn, dass man die Botschaft aussendet: Wenn Menschen beitragen können zu dem, was unsere Wirtschaft braucht, dann sollen sie auch einen klaren Weg dafür haben, hierher zu kommen.
domradio.de: Es gibt ja schon den Weg der sogenannten Bluecard: Menschen aus Drittstaaten können für vier Jahre in ein Land der Europäischen Union kommen und dort arbeiten. Voraussetzung sind ein fester Arbeitsvertrag und ein Mindestgehalt. Es gibt also doch schon die Möglichkeit, aus wirtschaftlichen Gründen nach Deutschland zu kommen...
Bedford-Strohm: Ja, es gibt bestimmte Regelungen bereits. Ein Einwanderungsgesetz wäre also nichts völlig Neues. Man hat nur festgestellt, dass die bestehenden Regelungen sehr wenig genutzt werden. Ein Grund dafür ist, dass Deutschland eine andere Botschaft aussendet. Und zwar, dass Menschen hier eher kritisch geprüft werden und nicht wirklich willkommen sind. Deshalb ist es, glaube ich, wichtig, dass man ein klares Konzept hat. Dass man mit einem Einwanderungsgesetz sagt: Menschen aus anderen Kulturen sind hier willkommen. Wir freuen uns, wenn sie hier etwas beitragen wollen. Der andere Pfad Asylrecht muss aber natürlich genau so bleiben, wie er jetzt ist.
domradio.de: Beim Asylrecht ist die Debatte im Moment relativ hitzig. Es gibt Stimmen, die sagen, das Boot sei voll. Aber es geht ja immer um Menschen, die einen guten Grund haben, hierher zu kommen. Was bewerten Sie als evangelische Kirche die Diskussion?
Bedford-Strohm: Ich glaube, dass die Rhetorik in der Tat von ganz großer Bedeutung ist. Ich halte Begriffe wie "massenhafter Asylmissbrauch" bezogen auf die Menschen, die aus dem Westbalkan kommen, für die falsche Rhetorik. Das Wort "Missbrauch" suggeriert, dass Menschen kommen, die kriminelle Qualitäten haben. In der Tat sind es aber Menschen, denen in ihren Herkunftsländern von Schlepperbanden eingeredet wird, dass sie hier ihr Glück machen können. Das ist von vornherein unrealistisch, aber sie kommen mit diesen Hoffnungen hierher. Sie geben ihr letztes Geld dafür und stellen fest, dass das Meiste nicht zutrifft und die meisten von ihnen wieder nach Hause müssen. Sie sind umso verzweifelter. Deswegen muss man, glaube ich, von "massenhafter Verzweiflung" sprechen und wahrnehmen, in welcher Situation die Menschen sind. Das nimmt nichts davon weg, dass nicht alle hier bleiben können, und dass es ein beschleunigtes Asylverfahren geben muss. Wir müssen die Menschen aber würdig behandeln. Und dazu ist die Rhetorik, die gewählt worden ist, nicht angetan.
domradio.de: Es gibt aus der Politik den Vorschlag, in den Herkunftsländern zu erklären, dass die Chancen in Deutschland für viele Flüchtlinge gar nicht so sind, wie sie vorher denken. Ist das aus Ihrer Sicht eine Lösung?
Bedford-Strohm: Ich glaube, dass es wichtig ist, dass man in den Ländern, die eine geringe Anerkennungsquote haben, deutlich sagt, dass das Asylrecht in Deutschland nicht der Weg ist, um Arbeit zu finden. Gleichzeitig erwarte ich aber, dass in diesen Ländern etwas getan wird, damit die Menschen eine Perspektive haben. Sie nur von sich fern halten, kann nicht die einzige Antwort sein. Es muss Unterstützung für die Regierungen in diesen Ländern geben. Viele Menschen, die nach Deutschland kommen, werden ja auch vor Ort gebraucht. Wie sollen die Länder aufgebaut werden, wenn die Menschen weggehen?
Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.