domradio.de: Man dachte eigentlich, schlimmer kann es nicht mehr werden. Doch die derzeitigen Lustangriffe bedeuten nochmal eine neue Stufe der Gewalt. Was hören Sie von den Menschen in Syrien und Aleppo?
Christoph Klitsch-Ott (Referatsleiter für den Nahen Osten und Nordafrika bei Caritas International): Die Berichte, die wir aus Syrien und aus Aleppo bekommen, sind wirklich dramatisch. Die Kämpfe, speziell in Aleppo, haben sich massiv verschärft. So wie man es aus dem inzwischen sechsjährigen Krieg nicht kennt - mit wirklich schweren Waffen, schweren bunkerbrechenden Bomben. Man spricht von Brandbomben. Das sind alles Dinge, von denen man vorher, trotz der schlimmen Situation, nichts gehört hatte. Und die Situation für die Zivilbevölkerung, die in diesem Kriegsgebiet lebt, ist natürlich dramatisch. Die Versorgung mit Nahrungsmitteln, mit Wasser ist praktisch völlig zusammengebrochen. Und über weite Teile hat man eigentlich keine Informationen, was dort wirklich los ist.
domradio.de: Es ist die Rede von Brandbomben und bunkerbrechenden Waffen. Das klingt so, als wäre man wirklich nirgends mehr vor der Gewalt sicher, oder?
Klitsch-Ott: Es sind natürlich in erster Linie die von der Opposition besetzten Gebiete betroffen, die heftig von der syrischen Armee mit Unterstützung der russischen Armee bombardiert werden. Bei der Rückeroberung von Aleppo setzt die syrische Regierung offensichtlich auf eine militärische Lösung und glaubt, die Stadt so wieder vollständig unter Kontrolle bringen zu können. Und das hat heftige Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung.
domradio.de: Es gibt Nachrichten davon, dass rund zwei Millionen Menschen nun der Zugang zu fließendem Wasser fehlt. Wie kommt das?
Klitsch-Ott: Sie müssen sich Aleppo wie eine Großstadt vorstellen. Durch den jahrelangen Bürgerkrieg, durch die Bombardierungen sind Wasserleitungen zerstört, die Wasserwerke zerstört. Und dadurch sind die Menschen darauf angewiesen, mit Tanklastwagen versorgt zu werden. Und das funktioniert natürlich nur, wenn ein Mindestmaß an Sicherheit gegeben ist. Das gilt letztendlich nirgendwo in Aleppo. Wir hatten das in der Vergangenheit immer wieder, dass auch sehr unkoordinierte Bomben in vermeintlich sicheren Gebieten runtergekommen sind – auch direkt vor dem Caritas-Büro in Aleppo –, sodass Hilfslieferungen derzeit nur sehr schwer möglich sind.
domradio.de: Was bedeutet das für die humanitäre Hilfe? Sind momentan überhaupt Hilfslieferungen möglich?
Klitsch-Ott: Man muss es in zwei Teilen sehen: es gibt natürlich Gebiete in Syrien, die zugänglich sind. Wir können zum Beispiel relativ gut im Großraum Damaskus arbeiten. Es gibt auch andere Städte, wie Latakia und Homs, wo Hilfe möglich ist. In geringem Maß auch in Aleppo. Aber es gibt auch weite Gebiete in Syrien, vor allen Dingen Gebiete, die von der Opposition kontrolliert werden, die derzeit für Hilfsorganisationen nur ganz schwer und letztlich nur im Geheimen zugänglich sind. Und damit erreicht man nur einen Bruchteil der Bevölkerung.
domradio.de: Westliche Politiker verschärfen nun ihren Tonfall im Streit über mögliche Lösungen für den syrischen Bürgerkrieg. Russland wird vorgeworfen, es unterstütze ein menschenverachtendes Regime. Sehen Sie noch irgendeinen politischen Ausweg aus dieser Situation?
Klitsch-Ott: Nachdem der letzte Versuch vergangene Woche zusammengebrochen ist, befürchte ich, dass es lange dauern wird, eine politische Lösung zu finden. Das syrische Regime mit der Unterstützung Russlands setzt ganz offensichtlich auf die militärische Karte und hofft, dadurch eine Entscheidung erzwingen zu können. Ich kann mir persönlich nicht vorstellen, dass das wirklich gelingen wird. Dramatisch ist natürlich, dass die internationale Gemeinschaft so gespalten ist, dass es zu keinen gemeinsamen Friedensinitiativen kommt.
Das Interview führte Silvia Ochlast.