Lale Akgün kritisiert Merkels Türkei-Reise

"Entscheidungen nach ethischen Grundsätzen"

Im Vorfeld sorgt die Reise von Angela Merkel in die Türkei für Kritik: Mehrere Politiker fordern sie zu deutlichen Worten an der Politik Erdogans auf. SPD-Politikerin Lale Akgün geht noch weiter und sagt: "Frau Merkel wäre besser nicht gefahren."

Lale Akgün  (dpa)
Lale Akgün / ( dpa )

domradio.de: Anfang April will sich Erdogan ja per Referendum zur Änderung der türkischen Verfassung endgültig zum Quasi-Alleinherrscher machen lassen. Sagen Sie vor diesem Hintergrund auch: Frau Merkel wäre jetzt besser nicht in die Türkei gefahren?

Lale Akgün (türkischstämmige SPD-Politikerin): Ja! Das sage ich auch sehr klar und deutlich. Denn der Besuch der "mächtigsten Frau" der Welt wird natürlich von Herrn Erdogan instrumentalisiert werden. Er wird sagen: "Schaut mal, wer alles zu mir kommt! Ich bin ein ganz wichtiger Mann und ihr müsst mich wählen!" Das heißt, Frau Merkel macht eindeutig Wahlkampfhilfe für Erdogan. 

domradio.de: Also tatsächlich alleine durch ihren Besuch, egal, was sie da sagt oder tut?

Akgün: Das, was sie sagt, wird von den Medien, die ja zu über 90 Prozent von Erdogan kontrolliert werden, dementsprechend veröffentlicht. Das heißt, sie kann gar nicht anders als positiv über Erdogan reden. Man wird dafür sorgen, dass nur das Gute an die Öffentlichkeit gelangt und somit eben der Eindruck unterstrichen wird, dass dieser Besuch Erdogan in seiner neuen Funktion als absoluter Herrscher.

domradio.de: Seit dem Putschversuch hat die türkische Regierung fast 100.000 Beamte entlassen, fast 40.000 sitzen in Haft; auch 151 Journalisten sitzen im Gefängnis, so viele wie nie zuvor in der Türkei und in keinem anderen Land der Welt. Ist die Türkei überhaupt noch ein Rechtsstaat?

Akgün: Die Türkei ist inzwischen kein Rechtsstaat mehr – de facto nicht – und ich fürchte, nach dem Referendum im April wird die Türkei auch de jure keine Rechtsstaat mehr sein. In einem Land, in dem die Justiz nicht mehr entscheiden kann, die Polizei und das Militär unter der Macht einer einzelnen Person sind, die Medien kontrolliert werden, kann man ja nicht mehr von einem Rechtsstaat reden.

domradio.de: Angela Merkel will ja am so genannten Flüchtlingsdeal mit der Türkei festhalten - ist das angesichts der jüngsten Entwicklungen überhaupt noch moralisch vertretbar?

Akgün: Ich finde, man muss als Politikerin eine wichtige Entscheidung treffen. Nämlich die Entscheidung: Bin ich eigentlich ethischen Grundsätzen wie Menschenrechten verpflichtet? Oder muss ich dafür sorgen, dass alles so läuft, wie es laufen sollte? Wenn Frau Merkel der Meinung ist, man muss eben dafür sorgen, dass alles läuft, wie es laufen soll: Dann wird sie auch Wirtschaftsvertreter mitnehmen, denen es egal ist, ob in der Türkei ein Rechtsstaat herrscht oder nicht, die Geschäfte machen wollen. Und sie wird auch dafür sorgen, dass ihr Flüchtlingsdeal weiter geht. Denn nichts kann sie weniger brauchen, als dass so kurz vor den Wahlen im September zu sehen ist, wie weitere Flüchtlinge ankommen. Das ist für sie ein wichtiger Punkt. Aber ich sage, sie sollte aber den Menschenrechten verpflichtet sein. Sie sollte der Meinung sein, dass wir als Europäer und auch als Deutsche die Verpflichtung haben, die Menschenrechte höher zu halten als vorübergehende positive "Einflüsse". Dann müsste sie sagen, sie geht auf keinen Fall auf Erpressungsversuche von Herrn Erdogan ein. Und nebenbei gesagt, sollte sie auch die Geschichte mit Ditib ansprechen. Das sage ich jetzt als Kölnerin: Es kann nicht sein, dass der verlängerte Arm von Erdogan in unserem Land, in unserer Stadt Spionage betreibt und wir schauen darüber hinweg.

Das Gespräch führte Uta Vorbrodt.


Quelle:
DR