Warum der SZ-Journalist Drobinski in Kardinal Müllers Amtsenthebung ein klares Zeichen sieht

"Papst lässt sich nicht auf der Nase rumtanzen"

Papst Franziskus verlängert die Amtszeit von Kardinal Müller als Chef der Glaubenskongregation nicht und setzt ihn damit faktisch ab. Matthias Drobinski von der Süddeutschen Zeitung erkennt darin ein klares Zeichen.

Kardinal Müller vor Franziskus (dpa)
Kardinal Müller vor Franziskus / ( dpa )

domradio.de: Kardinal Müller soll entspannt reagiert haben - es habe keine Differenzen zwischen ihm und dem Papst gegeben. Das stimmt ja nicht so ganz?

Matthias Drobinski (Redakteur für Kirche und Politik bei der Süddeutschen Zeitung): Entspannt – das weiß ich nicht. Ich glaube, er hat das gut verborgen, was in seinem Inneren vorgeht. Nach allem, was man so weiß, kam das sehr überraschend für ihn. Er war eigentlich auf dem Weg zu einem Klassentreffen nach Mainz, da hat ihn Papst Franziskus noch einmal zu einer Privataudienz gebeten und ihm eröffnet, dass sein Vertrag nicht verlängert wird. Kardinal Müller erklärt das damit, dass der Papst sich entschieden habe, alle fünf Jahre zu rotieren. Aber man muss schon sagen, die inhaltlichen Differenzen waren einfach unübersehbar.

domradio.de: In Ihrem Artikel  stellen Sie fest, dass genau diese – nennen wir sie mal etwas eigene Wahrnehmung des deutschen Kirchenmanns – das Problem war. Das müssen Sie mal erklären.

Drobinski: Kardinal Müller ist – so denke ich - jemand der glaubt, dass seine Wahrnehmung, die entscheidende ist. Es fällt ihm manchmal schwer, sich auf andere einzustellen. Und das war sicher auch eines der Probleme, die zwischen dem Papst und einem seiner wichtigsten Unterstützer geherrscht hat. Es geht ja auch nicht um irgendeinen Kardinal – sondern um die Nummer Zwei im Vatikan. Da braucht es ein vertrauensvolles und inniges Verhältnis. Wenn aber die Wahrnehmungen so auseinander gehen, dass der Papst denkt: "Der funkt mir dauernd quer!" und Müller denkt: "Der Papst und ich haben kein Problem!", dann ist genau das auch irgendwann das Problem.

domradio.de: Franziskus hatte Kardinal Müller sozusagen von seinem Amtsvorgänger Benedikt geerbt ... Auf der einen Seite der unkonventionelle, freigeistige Papst aus Lateinamerika, dort der als erzkonservativer Knochen verschriene Kardinal aus Deutschland: Lässt sich das Verhältnis der beiden auf diese Formel bringen?

Drobinski: Das ist ein bisschen zu einfach. Interessanterweise hatte Kardinal Müller den Ruf des Linken, weil er mit dem peruanischen Theologen Gustavo Gutiérrez – dem Vater der Befreiungstheologie befreundet ist. Dann gilt ja sowieso auch die deutsche Theologie als eher liberal. Das heißt, darauf passt diese Formel eigentlich nicht.

domradio.de: Das heißt, am Anfang war der Papst Kardinal Müller gegenüber sehr offen?

Drobinski: Am Anfang schätzte Franziskus das große Wissen von Kardinal Müller. Außerdem wollte er auch den Vorgänger Papst Benedikt XVI. nicht brüskieren. Den Konservativen wollte er zudem zeigen, dass auch sie in der Kirchenleitung vertreten sind.

domradio.de: Was hat denn dann das Fass zum Überlaufen gebracht?

Drobinski: Bei der ganzen Frage des Eheverständnisses – ob etwa wiederverheiratete Geschiedene zur Kommunion gehen dürfen. Hier wurden die Gräben deutlich sichtbar. Der Papst hat es ins Ermessen der Bischofskonferenz gestellt, hier eigenen Entscheidungen zu treffen, auch wiederverheiratete Geschiedene in Einzelfällen zur Kommunion zuzulassen. Von Kardinal Müller kam hier ein kategorisches "Nein". Müller hat irgendwann gesagt: "Der Papst kann nicht einfach gegen die Lehre der katholischen Kirche agieren."  Also in etwa: "Ich erkläre dem Papst mal, was die Lehre der Katholischen Kirche ist!" Da verkehren sich dann die Rollen. Das hat den Papst schon sehr geärgert.

domradio.de: Sie nennen den Vorgang einen "Donnerschlag" und eine "harte Degradierung". Wie schätzen Sie das ein: Ist Franziskus so langsam der Geduldsfaden gerissen? Will er seinen Kurs in der Kurie verbindlich durchsetzen?

Drobinski: Ich glaube, in dem Fall ja. Es war eine Grenze überschritten. Also wenn Kardinal Müller in Interviews die Autorität des Papstes in Frage stellt, dann kann man das sicher als Kardinal irgendwo in Deutschland oder in Südamerika tun. Aber nicht als eine der engsten Vertrauenspersonen des Papstes. Es geht ja nicht um irgendeine Position, es geht um eine Person, die zusammen mit dem Papst die Geschicke der Weltkirche lenkt.

domradio.de: Warum war dann nicht schon früher Schluss? Schon vor einem Jahr soll sich Franziskus so über Müller geärgert haben, dass er dessen Rausschmiss erwog.

Drobinski: Er hat sich aber wohl eher dafür entschieden zu sagen, ich warte ab, bis diese Amtszeit ausläuft. Das ist recht taktisch. Denn formal heißt das, ich verlängere den Vertrag nicht. Der Papst kann das dann so darstellen: Es gibt eine Rotation alle fünf Jahre, damit es Bewegung gibt. Ich bin gespannt, ob nach fünf Jahren der Nächste kommt. Das werden wir ja sehen.

domradio.de: Sie glauben also nicht so ganz an das Rotationsargument?

Drobinski: Ich glaube insgesamt, dass das ein Zeichen des Papstes ist: "Ich lasse mir nicht auf der Nase rumtanzen."

Das Interview führte Silvia Ochlast.


Quelle:
DR