Beobachtungen zum Welthospiztag

Das Sterben aus der Tabuzone holen

Zwei von drei Deutschen möchten zu Hause sterben, aber gut 75 Prozent der Menschen sterben hierzulande derzeit im Pflegeheim oder Krankenhaus. Die Hospizbewegung will das ändern und für ein Sterben in Würde sorgen.

Autor/in:
Christoph Arens
Sterbebegleitung / © BBT-Gruppe/Harald Oppitz (KNA)
Sterbebegleitung / © BBT-Gruppe/Harald Oppitz ( KNA )

Hans Overkämping weiß es noch genau: Es war in den 1980er Jahren durchaus üblich, dass Sterbende in den Krankenhäusern in die Badezimmer oder Abstellräume abgeschoben wurden, erinnert sich der katholische Priester aus Datteln. Er wollte "menschenwürdiges Sterben" möglich machen. Und wurde zum Mitbegründer eines der ersten deutschen Hospize in Recklinghausen.

Hospizbewegung hat Gesellschaft verändert

"Es geht nicht darum, dem Leben mehr Tage zu geben, sondern den Tagen mehr Leben", lautet eines der Leitworte der Hospiz- und Palliativarbeit. Sterbende sollen bis zuletzt ein selbstbestimmtes Leben führen können, möglichst schmerzfrei und in vertrauter Umgebung. Inspiriert von der britischen Ärztin Cicely Saunders und der Sterbeforscherin Elisabeth Kübler-Ross, entstanden auch in Deutschland in den 80er Jahren erste Hospizdienste: Ehrenamtliche kümmerten sich um Schwerstkranke und Sterbende. Und sie kämpften angesichts eines Gesundheitssystems, das sich allein auf Heilung konzentrierte, gegen die Tabuisierung von Sterben und Tod.

"Die Hospizbewegung hat die Gesellschaft verändert." Winfried Hardinghaus klingt zufrieden. Der Chefarzt der Klinik für Palliativmedizin im Franziskus-Krankenhaus Berlin ist seit 2014 Vorsitzender des Deutschen Hospiz- und PalliativVerbands (DHPV), des bundesweiten Dachverbandes der Hospizbewegung.

Eine breite Bürgerbewegung entstand - insbesondere im Raum der Kirchen. 1983 wurde die erste deutsche Palliativstation an der Uniklinik in Köln gegründet, 1986 das erste stationäre Hospiz in Aachen. Inzwischen gibt es ein Netz von rund 1.500 ambulanten Hospizdiensten, 236 stationären Hospizen sowie mehr als 300 Palliativstationen in Krankenhäusern. Über 300 Teams der Spezialisierten ambulanten Palliativversorgung (SAPV) aus Medizinern, Pflegekräften, Seelsorgern und Physiotherapeuten sorgen dafür, dass Sterbenskranke auch in schwierigsten Situationen zu Hause versorgt werden können. Zehntausende Bundesbürger engagieren sich in der Hospizbewegung.

Sorge vor Legalisierung aktiver Sterbehilfe

Immer stärker wurde die Sterbebegleitung auch gesetzlich und in den Richtlinien der Krankenkassen abgesichert. Wurden die ersten Hospize ausschließlich über Spenden finanziert, bezuschussen die Krankenkassen seit 1997 stationäre Einrichtungen, seit 2002 auch ambulante Hospizdienste.

Nicht zuletzt die Sorge vor einer Legalisierung von aktiver Sterbehilfe hat Politik, Mediziner und Hospizbewegung darin bestärkt, "eine Kultur der Mitmenschlichkeit und Fürsorge" am Lebensende zu entwickeln, wie es DHPV-Geschäftsführer Benno Bolze formuliert. Das 2015 vom Bundestag verabschiedete Hospiz- und Palliativgesetz hat die Bedeutung der Sterbebegleitung noch einmal gestärkt. Seither ist sie ausdrücklicher Auftrag der Pflegeversicherung.

2016 gaben die Krankenkassen rund 600 Millionen Euro für Sterbebegleitung durch Hospize und ambulante Versorgung aus - deutlich mehr als die rund 479 Millionen Euro 2015. "Es geht langsam voran", kommentierte das "Deutsche Ärzteblatt" die Zahlen. Für Hardinghaus steht fest: Insbesondere bei stationären Hospizen ist der Bedarf fast gedeckt. Die Wartelisten würden vielfach kleiner.

Allerdings gebe es einzelne weiße Flecken, insbesondere in ländlichen Regionen. Ein Sorgenkind war die spezialisierte ambulante Palliativversorgung (SAPV): Seit 2007 als Kassenleistung anerkannt, verlief ihre Umsetzung - insbesondere im ländlichen Raum - sehr schleppend.

Fehlt professionelle Hilfe?

Inzwischen seien die Leistungen stark ausgebaut worden, so das "Ärzteblatt": Die Zahl der betreuten Personen ist von 40.900 im Jahr 2014 auf rund 48.600 im Jahr 2015 gestiegen. Rund 90.000 Abrechnungsfälle registrieren die Kassen derzeit im Jahr.

Genaue Zahlen darüber, wie viele Patienten Palliativ- und Hospizleistungen erhalten, sind aber schwierig zu ermitteln, weil manche Schwerstkranke mehrere Stationen durchlaufen. Die Deutsche Stiftung Patientenschutz bemängelt deshalb, dass der größte Teil der Sterbenden in Deutschland weiterhin keine Chance auf umfassende Hilfe habe, insbesondere die Sterbenden in den Alten- und Pflegeheimen.

Laut Vorstand Eugen Brysch erhält nur jeder sechste Bundesbürger beim Sterben die professionelle Hilfe, die ihm zusteht.


Quelle:
KNA