Der Advent steht bevor, und alle Jahre wieder sind die Deutschen zu dieser Zeit besonders hilfsbereit. Über 20 Prozent der jährlichen Spenden werden im Dezember verzeichnet; auf Basaren in Schulen und Kindergärten verkaufen schon die Kleinsten ihre Basteleien und Gebäck für gute Zwecke; Ehrenamtler planen vorweihnachtliche Feiern in Flüchtlingsunterkünften und Pflegeheimen.
Von Nachbarschaftshilfe bis zur Sozial- und Entwicklungshilfe
Tillmann Bendikowski findet diesen Impuls naheliegend: Das Weihnachtsfest öffne Herzen und Geldbörsen, erklärt er mit einem Augenzwinkern. Grundsätzlich sei die christliche Motivation für das Helfen bis heute kaum zu unterschätzen, betont der Historiker. Er hat die Kulturgeschichte des Helfens näher beleuchtet; sein Buch "Helfen. Warum wir für andere da sind" ist unlängst erschienen. Von einfachen Formen wie der Nachbarschaftshilfe bis zu komplexen Themen wie Sozial- und Entwicklungshilfe kommt darin vieles zur Sprache.
Eingestreut sind Gastbeiträge von Ehrenamtlern, Vertretern von Hilfsorganisationen oder auch Erzbischof Stefan Heße, der bei der Deutschen Bischofskonferenz für Flüchtlingsfragen zuständig ist. Früh in dem gut 300 Seiten starken Band wird deutlich: Das Helfen ist nicht nur positiv besetzt. "Der Vorgang des Helfens steht eigentlich immer unter Beobachtung", so Bendikowski im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Dritte fragten sich fast immer, warum jemand helfe - ob er sich vielleicht selbst Vorteile davon erhoffe.
Flüchtlingshelfer unter Verdacht
So seien Flüchtlingshelfer nach der anfänglich euphorischen "Willkommenskultur" regelrecht unter Verdacht geraten, schreibt der Wissenschaftler. Naivität, eine "verschobene" Bewältigung der deutschen NS-Vergangenheit oder Profilierungssucht lauteten die häufigsten Vorhaltungen. Caritas und Humanität seien so zum Vorwurf geworden: ein Klima, in dem sich eine "eigentümliche Misanthropie" ausbreiten konnte.
Dabei sei die spontane Hilfe für Flüchtlinge vielfach ein "Helfen in seiner geradezu ursprünglichen, tief menschlichen Motivation" gewesen, meint Bendikowsi. Viele Ehrenamtler seien die Situation gerade nicht politisch angegangen, "sondern sahen den Nächsten in der Not und schritten zur Hilfe".
Barmherziger Samariter
Dies entspreche dem Handeln einer christlichen Ikone der Hilfsbereitschaft, dem barmherzigen Samariter. "Die Figur funktioniert als moralischer Appell auch außerhalb von christlichen Zusammenhängen", hat der Forscher beobachtet. Zugleich habe Papst Franziskus bereits an das biblische Gleichnis erinnert, als die Flüchtlingskrise in Europa noch nicht ihren Höhepunkt erreicht hatte. "Dieser Samariter ist Mahnung und Vorbild", betont Bendikowski - und heute hochaktuell.
Die extreme Gegenposition weist der Historiker zurück. "Man brauche mit bestimmten Menschen kein Mitleid zu haben, weil sie entweder keine Menschen oder keine vollwertigen Mitglieder der Gesellschaft seien" - so hätten stets Sklavenhalter, Rassisten und Nationalisten argumentiert. In einer Zeit, in der ähnliche Erklärungsmuster wieder an politischer Konjunktur gewinnen, sind solche Klarstellungen bemerkenswert.
Kulturwandel des Helfens
In der Geschichte hat sich das Helfen stets gewandelt - und auch künftig erwartet Bendikowski Veränderungen. So würden Ehrenämter wichtiger werden, wenn der Sozialstaat "einen Teil seiner Hilfszuständigkeit an die einzelnen Menschen" delegiere. Anlass zur Sorge sei dies nicht, da das Ehrenamt bislang "eine stabile Größe" bilde. "Insofern darf man guter Hoffnung sein, dass auch die Veränderungen des Sozialstaats durch dieses Engagement abgefedert werden." Eine Kultur des Helfens sei allerdings nicht selbstverständlich.
Zugleich fällt das Fazit zuversichtlich aus. Im Lauf der Flüchtlingskrise habe sich eine neue Kultur des Helfens etabliert, meint der Experte: Die Hälfte aller Deutschen sei zu Helfern geworden, in Suppenküchen oder mit Sprachkursen, durch Kleider- oder Geldspenden. Diese Aktionen veränderten die einzelnen Aktiven und die Gesellschaft - allein schon durch die Erfahrung, dass Helfen durchaus Spaß machen könne. Bendikowski: "Und das darf es auch!"