Der Wallfahrtsort am Rand der Hauptstadt Santiago erinnert an die Unabhängigkeit des Landes vor 200 Jahren. Bei der Fahrt dorthin im Papamobil wurde Franziskus von Tausenden jubelnden und singenden Zuschauern begrüßt.
"Schön, dass ihr vom Sofa aufgestanden und hierhergekommen seid", sagte das Kirchenoberhaupt. Wenn Jugendliche "unruhig, suchend, idealistisch" seien, wiegelten viele Erwachsene ab: Junge Menschen würden auch noch reifer. "Als bedeute 'reifen' das Akzeptieren von Ungerechtigkeit, zu glauben, man könne nichts tun oder dass die Dinge halt immer schon so gewesen seien."
"Euer Land braucht Euch"
Immer wieder wich der Papst vom Redemanuskript ab und ermunterte die jungen Zuhörer, sich einzumischen. "Lasst euch nicht zum Schweigen bringen", rief er ihnen zu. "Und liebt euer Chile. Denn euer Land braucht euch." Auch die Kirche brauche ein junges Gesicht. Die Jugendsynode dieses Jahr in Rom habe er einberufen, damit die Kirche sich von ihren Söhnen und Töchtern herausfordern und hinterfragen lasse.
Ähnlich wie manche ständig auf einen geladenen Handy-Akku und aufs Online-Sein achteten, fuhr der Papst fort, sollten die Jugendlichen mit Jesus verbunden sein und sich von ihm inspirieren lassen. "Ohne diese Verbindung ertrinken unsere Gedanken und Ideen, unsere Träume und unser Glaube und wir werden aller Dinge überdrüssig", warnte er.
Vorbild: Alberto Hurtado
Franziskus verwies seine Zuhörer auf den chilenischen Heiligen Alberto Hurtado. Dessen Motto, "Was würde Jesus an meiner Stelle tun?", sollten sie sich zu eigen machen: ob auf dem Sportplatz, im Stadion, in der Schule, an der Uni oder beim Tanzen. "Der Tag wird kommen, an dem ihr, ohne dass ihr es merkt, den gleichen Herzschlag habt wie Jesus", sagte der Papst. Es reiche nicht, religiöse Unterweisungen zu hören oder Lehren auswendig zu lernen. Es gehe darum, zu leben wie Jesus und so zu Protagonisten der Geschichte und der Gesellschaft zu werden.
Nach der Rückkehr aus Temuco in Südchile war der Papst in Maipu von der Bürgermeisterin des Ortes und dem Rektor des Heiligtums empfangen worden. Nach dem Sieg gegen die Spanier hatten die Chilenen 1818 gelobt, an diesem Ort eine Weihestätte zu errichten. Nachdem frühere Gebäude durch Erdbeben zerstört worden waren, wurde 1974 der heutige moderne Bau fertiggestellt. 1987 hatte dort schon Papst Johannes Paul II. (1978-2005) eine große Messe gefeiert.
"Gemeinschaftliches Vorankommen" wichtig
Nach dem Treffen mit den Jugendlichen hielt der Papst am Mittwochabend eine Rede in der Päpstlichen Katholischen Univeristät in Santiago. Er forderte Chiles Akademiker auf, in Studium und Beruf stärker auf ein gemeinschaftliches Vorankommen zu achten und verlangte eine "integrierende Alphabetisierung". Diese müsse die rasanten gesellschaftlichen Veränderungen besser aufeinander abstimmen, so Franziskus. Wenn Bildung Verstand, Herz und Handeln in Einklang bringe, ermögliche das den Studierenden ein harmonisches Wachstum nicht nur auf persönlicher, sondern zugleich auf sozialer Ebene.
Das Bildungssystem müsse zum Zusammenleben heranbilden, sagte der Papst vor knapp 2.500 Studenten und Lehrkräften. Es gehe darum, den Menschen zu zeigen, "in integrierender Weise zu denken und zu urteilen". In der heutigen flüchtigen Gesellschaft schwänden viele Bezugspunkte. Ohne das Bewusstsein und die Erfahrung eines "Wir" sei es aber sehr schwierig, eine Nation mit Zukunft aufzubauen.
"Schöpfung nicht auf wenige Schemata reduzieren"
Das kontroverse Thema des elitären chilenischen Bildungssystems, das zumeist Kindern reicher Familien zugutekommt, sprach der Papst nicht direkt an. Stattdessen regte er an, Bildungsgemeinschaften von der Universität auch auf andere Teile der Gesellschaft auszuweiten. So wiederholte er seinen Appell aus der Predigt vom Vormittag in Temuco, indem er "eine Interaktion zwischen dem Hörsaal und der Weisheit der indigenen Völker" forderte. Dies bewahre die akademische Welt vor ihrer "latenten Versuchung, die Schöpfung auf einige wenige interpretative Schemata zu reduzieren".
Die 1888 gegründete katholische Universität gilt als eine der besten, aber auch teuren Hochschulen Chiles. Begonnen hatte sie mit einer juristischen und einer mathematisch-naturwissenschaftlichen Fakultät; heute umfasst sie fast das ganze akademische Spektrum. Derzeit sind dort knapp 30.000 Studenten eingeschrieben.
Treffen mit Diktatur-Opfern
An seinem letzten Besuchstag in Chile wird der Papst heute in der nordchilenischen Hafenstadt Iquique am Rande der Atacama-Wüste erwartet. Dort wird er in der Sportanlage Campus Lobito direkt am Pazifik eine Messe feiern. Zudem wird sich Franziskus voraussichtlich mit Opfern der Diktatur von Augusto Pinochet treffen.
Während der Gewaltherrschaft von 1973 bis 1990 erlitten Zehntausende Folter, mehr als 3.000 wurden ermordet oder verschwanden. Nach einer Abschiedszeremonie am Flughafen von Iquique fliegt der Papst weiter in die peruanische Hauptstadt Lima.