Der Papst ringt um sein Personal in Südamerika

Priester sollen menschlicher werden und wieder glaubwürdiger

Papst Franziskus will eine schwindende Kirche in Chile retten. Dazu braucht er den Klerus. In Santiago unterzieht er Priester und Ordensleute einem Kurzseminar über den Umgang mit Versagen, innerer Isolation und Elitedenken.

Autor/in:
Burkhard Jürgens
Papstbesuch in Chile  / © Rodrigo Saenz (dpa)
Papstbesuch in Chile / © Rodrigo Saenz ( dpa )

Die wohl längste Ansprache in Chile widmet der Papst den Priestern und Ordensleuten. Er weiß, dass er sie mobilisieren muss, um den Niedergang der katholischen Kirche aufzuhalten. Aber das Personal ist verunsichert. Und die größte Versuchung, sagt Franziskus vor rund 3.000 Geistlichen in Santiagos Kathedrale, ist, im Grübeln über die eigene Hoffnungslosigkeit steckenzubleiben. Dann hätte das "Unkraut des Bösen" gesiegt und seine bitteren Samen "Skandale und Glaubensabfall".

Die Säkularisierung galoppiert. Bekannten sich in Umfragen vor zwei Jahrzehnten noch fast drei Viertel der Chilenen zur katholischen Kirche, so sind es laut dem Meinungsforschungsinstitut Latinobarometro aktuell noch 45 Prozent. Und nicht etwa, weil die Menschen zu vielleicht attraktiveren evangelikalen Gemeinschaften abwanderten - der Glaube interessiert sie einfach nicht mehr. 38 Prozent, mehr als in jedem anderen lateinamerikanischen Land, nennen sich religionslos.

Missbrauchsskandal vor wenigen Jahren

Besonders der 2011 aufgebrochene Missbrauchsskandal um den charismatischen Priester Fernando Karadima gab vielen den letzten Anstoß, der Kirche den Rücken zu kehren. Die nationale Bischofskonferenz reagierte. In Sachen Prävention liegt Chiles Kirche nach dem Urteil des Kinderschutzzentrums der Päpstlichen Universität Gregoriana in Rom heute an der Spitze in Lateinamerika. Doch die Ernennung des Karadima-Zöglings Juan Barros, den manche der Mitwisserschaft in Sexualdelikten beschuldigen, zum Leiter des südchilenischen Bistums Osorno 2015 sorgte für neuen Unmut.

Franziskus sprach das Thema Missbrauch schon am Morgen im Präsidentenpalast in Santiago erstaunlich offensiv an und bekundete "Schmerz und Scham" über das, was nach seinen Worten nicht wiedergutzumachen ist. Vor den Klerikern und Ordensleuten geht er nun auch auf die Folgen des Glaubwürdigkeitsverlustes ein, die der Missbrauchsskandal für das katholische Bodenpersonal brachte: Misstrauen, Anfeindungen in der Öffentlichkeit, innere Zweifel.

Papst trifft Missbrauchsopfer in Chile

Papst Franziskus selber hat sich am Dienstagmittag in Chile mit Missbrauchsopfern getroffen. Die Begegnung fand in "strikt privater Form" in der Nuntiatur statt, wie Vatikansprecher Greg Burke am Abend in Santiago mitteilte. Andere Personen seien nicht zugegen gewesen, um ein ungestörtes Gespräch über die Leidensgeschichten der Opfer zu ermöglichen. "Der Papst hat sie angehört und mit ihnen gebetet und geweint", sagte der Sprecher.

Das Treffen habe etwa eine halbe Stunden gedauert, sagte Burke. Es habe sich um eine "kleine Gruppe" gehandelt. Die Zahl der Gesprächsteilnehmer, deren Geschlecht und die Art der Vergehen wollte er auch auf Nachfrage nicht präzisieren. Dies geschehe zum Schutz der Betroffenen, so der Sprecher.

"Wir sind keine Superhelden", so der Papst

Der Weg, den Franziskus seiner gebeutelten Kirche in Chile vorschlägt, führt durch ein Tal der Tränen. "Wir sind keine Superhelden, die sich von den Höhen herabbeugen, um den einfachen Sterblichen zu begegnen". Geistliche sind Männer und Frauen, "die sich bewusst sind, dass ihnen vergeben worden ist", sagt er in seiner mehrfach von Beifall unterbrochenen Rede.

Das ist mehr als frömmelnde Koketterie. Um zu ermessen, wie ernst dem Papst mit dem Blick in den Sündenspiegel ist, muss man den Satz meditieren, den er über sein Vorbild im Apostelamt sagt: "Petrus hatte die im Stich gelassen, die er zu leiten geschworen hatte. Das war die entscheidende Stunde im Leben des Petrus." Vielleicht schwingt da der Gedanke an eigenes Versagen mit, etwa als Jesuiten-Leiter während der Militärdiktatur in Argentinien.

Der Papst spottet

Die Konfrontation mit der eigenen Schwäche - sie soll Kleriker lehren, dass sie sich aus der Angststarre des Versagens lösen können, dass sie ihre Isolation in Elitedenken aufgeben und erkennen, dass auch die zu der Umkehr gerufen sind, die sie anderen predigen.

Das heißt auch, sich auf den Weg mit der Zeit zu machen. "Eine verwundete Kirche kann die Wunden der Welt von heute verstehen", sagt der Papst. Da lässt er sich sogar zu etwas bissigem Spott hinreißen, etwa über jene, die "einem gewissen katholischen Stil der Vergangenheit unerschütterlich treu sind" oder detaillierte "apostolische Expansionsprojekte" schmieden; "typisch für besiegte Generäle", spottet Franziskus.

Papst verlangt mehr Wohlfahrt

Der Papst verlangt nicht einfach mehr Wohlfahrt. Er will, dass eine auch von der Schlechtigkeit in ihren eigenen Reihen betrübte Kirche lernt, sich als Dienerin der Betrübten zu verstehen.

Es geht ihm darum, "sich bewusst zu machen, dass der Arme, der Nackte, der Gefangene, der Obdachlose die Würde besitzt, mit uns an unserem Tisch zu sitzen". Eine Kirche, die selbst verwundet ist und Barmherzigkeit erfahren hat, sie kann eine prophetische Kirche sein.

Am Ende stimmt er selbst fast einen prophetischen Hymnus an, mit Worten, die er von Santiagos früherem Kardinal Raul Silva Henriquez leiht; ein Loblied auf die Kirche, seine Kirche, die heilige Kirche im Evangelium und im Brot, dem Leib des demütigen Christus, "mit den Gesichtern der Männer und Frauen, die singen, kämpfen, leiden". Da scheint es, als sei die Theologie der Befreiung auf dem Stuhl Petri angekommen.


Quelle:
KNA
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