Die neue Debatte über Armut ist nach Einschätzung des Kölner Politikwissenschaftlers Christoph Butterwegge längst überfällig. "Vor der Entscheidung der Essener Tafel war es um dieses Thema ziemlich ruhig geworden", sagte er am Sonntag der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Dabei habe sich bereits vor drei Jahren auf dem Höhepunkt des Flüchtlingszuzugs abgezeichnet, dass künftig mehr Menschen auf karitative Angebote angewiesen sein könnten, so der Armutsforscher. Er habe damals schon vor einer "ethnischen Unterschichtung" der Gesellschaft gewarnt.
Kritik in beide Richtungen
Die Entscheidung der Essener Tafel, bis auf Weiteres nur noch Deutsche als Neukunden aufzunehmen, sorgt seit Tagen für eine bundesweite Debatte. Durch Flüchtlinge und Zuwanderer seien ältere Tafel-Nutzerinnen und Alleinerziehende einem Verdrängungsprozess zum Opfer gefallen, so die Begründung.
Butterwegge kritisierte den Schritt als "rassistische Schließung", die in der Gesellschaft offenbar salonfähig geworden sei. Wenn der Vorsitzende der Essener Tafel, Jörg Sartor, etwa davon spreche, dass Syrer und Russlanddeutsche ein "Nehmer-Gen" hätten, dann sei dies "zumindest zweifelhaft", sagte Butterwegge. "Dennoch halte ich es für falsch, eine einzelne Person an den Pranger zu stellen. Das eigentliche Armutszeugnis für Deutschland ist, dass die Tafeln überhaupt notwendig sind."
Soziale Probleme nicht durch Fluchtursachen
Der Sozialstaat entziehe sich immer mehr seiner Verantwortung, allen Menschen ein Leben in Würde zu ermöglichen, erklärte Butterwegge. Seit der Einführung von Hartz IV seien die Regelbedarfe kaum gestiegen und besonders für Kinder völlig unzureichend. Auch der Mindestlohn reiche nicht aus, um eine Familie zu ernähren. "Mehr als ein Viertel der Tafelkunden sind deutsche Kinder und Jugendliche, ein weiteres Viertel bis ein Drittel alte Menschen, deren Rente nicht reicht. Das hat mit der vermehrten Fluchtmigration, die auch Deutschland erreicht hat, überhaupt nichts zu tun", betonte der Wissenschaftler.