DOMRADIO.DE: Der türkische Präsident Erdoğan behauptete, sein Militär befreie das türkisch-syrische Grenzgebiet von Terroristen. Aber auf die Menschen in der Stadt Afrin muss der Einmarsch der Türkei am Sonntag eher wie der Auftritt einer Besetzungsmacht gewirkt haben, oder?
Günther Burkhardt (Geschäftsführer der Menschenrechtsorganisation von Pro Asyl): Es ist ein brutaler Krieg, der hier stattfindet - auf dem Rücken von Zivilisten - und die Türkei hat überhaupt nicht das Recht, in Syrien einzumarschieren. Das ist völkerrechtswidrig! Wir als Menschenrechtsorganisation kümmern uns vor allem um das Schicksal der Flüchtlinge.
150.000 Menschen sind jetzt auf der Flucht – und das genau am Jahrestag dieses Abkommens mit Erdoğan, bei dem wir von Anfang an Sorge hatten. Erdoğan riegelte die Grenzen zu Europa ab und im Gegenzug lässt die Europäische Union ihn mit Blick auf den Kurdenkonflikt auf beiden Seiten der Grenze gewähren. Erdoğan hat offensichtlich auch das Ziel, in Nordsyrien dauerhaft eine türkische Präsenz zu errichten und wieder Flüchtlinge über die Grenze zu schicken.
DOMRADIO.DE: Seit die türkische Armee in die Kurdenregion Afrin in Syrien vorrückt, kommt es auch in Deutschland vermehrt zur Gewalt gegen türkische Einrichtungen. Die deutschen Polizeibehörden zählten im laufenden Jahr bereits 37 Angriffe mutmaßlicher prokurdischer Aktivisten auf Moscheen, Kulturvereine oder türkische Restaurants. Das sind in den ersten Monaten bereits drei Mal so viele solcher Übergriffe wie im gesamten vergangenen Jahr. Was muss da getan werden – sowohl um die Situation in Deutschland zu entspannen, aber natürlich auch in Afrin?
Burkhardt: Angriffe auf türkische Einrichtungen und auf Moscheen sind inakzeptabel – das ist überhaupt keine Frage. Nur: Es ist ein Versagen der Bundesregierung, ein Versagen Europas im Konflikt in Syrien, in der Türkei. Man schweigt. Man redet sich die Lage schön. Man liefert Panzer. Man ermöglicht Erdoğan mit Waffenlieferungen einzumarschieren. Und gleichzeitig sagt man: 'Prima, die Zahl der Flüchtlinge ist zurückgegangen'. Ja, aber um welchen Preis?
Um den Preis, dass Erdoğan die Grenzen zu Syrien geschlossen hat? Dass Erdoğan in Syrien neue Flüchtlinge produziert? Und dass in Europa, in Griechenland das Recht auf politisches Asyl politisch Verfolgten vorenthalten wird? Man prüft ja gar nicht mehr, warum jemand Schutz braucht; warum jemand geflohen ist! Sondern es heißt: Die Türkei ist ein sicherer Staat, dahin kann man zurück. Aber die Türkei ist kein Rechtsstaat mehr. Sie entfernt sich von einem Rechtsstaat. Wie soll ein aus Europa zurückgekehrter Flüchtling in der Türkei auf rechtsstaatliche Verhältnisse - auf Schutz - hoffen?
DOMRADIO.DE: Sie fordern, die Flüchtlingsdeals mit Erdoğan zu beenden. Wie stellen Sie sich das genau vor?
Burkhardt: Das Wesentliche ist, dass man in Europa ankommenden Menschen ein faires Asylverfahren garantiert. Wir erleben aber im Moment die europäischen Bestrebungen, das Asylrecht so zu entkernen, dass man es grundlegend ändert und quasi jeden Verfolgten vor die Tore Europas zurückschicken kann.
Man hat im Moment ein Rechtsproblem, weil dieser EU-Türkei-Deal auf wackligen Füßen steht und die Türkei kein sicherer Drittstaat ist. Also versucht die Europäische Union durchzusetzen, dass die Kriterien für einen sicheren Staat herunter definiert werden, sodass man Flüchtlinge in Staaten abschiebt, die man dann mit Geld zu willfährigen Drittstaaten machen kann.
Das Gespräch führte Aurelia Rütters.