Pflegewissenschaftler zur Anwerbung ausländischer Fachkräfte

"Wir müssen hier im Land unsere Hausaufgaben machen"

Bundesgesundheitsminister Spahn hat für seinen Vorschlag, verstärkt ausländische Fachkräfte für die Pflege anzuwerben, auch Kritik geerntet. Nun bekommt der CDU-Politiker Zuspruch aus nicht zwangsläufig erwarteter Richtung.

Ausländische Pflegekräfte im Krankenhaus / © Andreas Arnold (dpa)
Ausländische Pflegekräfte im Krankenhaus / © Andreas Arnold ( dpa )

KNA: Wie sehen Sie den Vorschlag von Bundesgesundheitsminister Spahn aus Sicht der Wissenschaft?

Michael Isfort (Stellvertretende Vorstandsvorsitzende des Deutschen Instituts für angewandte Pflegeforschung / DIP): Ich kann die Schelte nicht ganz nachvollziehen. Minister Spahn hebt hier eine Maßnahme heraus, die eigentlich in allen Empfehlungen zur Fachkräftesicherung auch benannt und übrigens schon umgesetzt wird. Er hat empfohlen, die Verfahren zu beschleunigen und das Potenzial ausländischer Fachkräfte nicht ungenutzt zu lassen.

Er hat, so ich seine Aussagen vollständig kenne, nie gesagt, dass ausländische Fachkräfte alleine die Personalnot lösen können. Allein im Bereich der Altenpflege - also in Heimen und ambulanten Sozialstationen - haben wir derzeit rund 40.000 offene Stellen. Da sind die Bedarfe in den Krankenhäusern noch nicht mit eingerechnet. Notwendig ist daher ein ganzes Bündel von Maßnahmen, um mehr Pflegekräfte zu gewinnen. Das schließt die Rekrutierung im Ausland mit ein.

KNA: Die Kritik lautete auch, dass bislang alle Programme, ausländische Fachkräfte zu rekrutieren, gescheitert seien...

Isfort: Die Pflege ist immer schon ein Bereich gewesen, der viele ausländische Kräfte aufgenommen hat. So haben wir in den 80er Jahren viele Pflegekräfte aus Südkorea, Indien oder den Philippinen geholt.

Die Idee ist also im Pflegewesen schon lange fest verankert und nicht neu. Ein grundsätzliches Scheitern kann ich daher nicht erkennen.

Richtig ist aber, dass es ungeheuer kompliziert ist, Pflegekräfte im Ausland zu finden, sie in das deutsche Pflegesystem zu integrieren und - vor allem - sie auch langfristig zu halten. Außerdem ist kaum zu rechtfertigen, dass wir mit großem personellen Aufwand und viel Geld einzelne Pflegekräfte im Ausland anwerben, während wir kein Geld dafür in die Hand nehmen, um die Arbeitsbedingungen in Deutschland zu verbessern und die Ressourcen vor Ort besser zu nutzen.

KNA: Warum ist es so kompliziert mit der Rekrutierung ausländischer Fachkräfte?

Isfort: Insbesondere kleinere Einrichtungen schaffen das gar nicht. Sie müssen entweder sehr teure Agenturen beauftragen oder selbst nach Spanien oder Italien fahren, Menschen werben und Auswahlverfahren durchführen. Dann müssen sie den Kandidaten in Deutschland bei der Wohnungssuche und im Alltag helfen, für fachorientierte Sprachkurse sorgen, die Auflagen und Anforderungen des deutschen Beruferechts erfüllen, Angleichungsprüfungen organisieren und ihnen die Besonderheiten des deutschen Pflegesystems und des Verständnisses der Pflegearbeit hierzulande nahebringen.

KNA: Gibt es da so große Unterschiede?

Isfort: In Spanien etwa haben viele Fachkräfte ein Studium absolviert. Sie dürfen viel mehr medizinische Aufgaben im Bereich von Vorbeugung und Versorgung übernehmen. Viele ausländische Pflegekräfte sind überrascht, wenn sie in Deutschland Patienten oder Altenheimbewohner waschen oder ihnen bei der Nahrungsaufnahme helfen sollen. Das wird anderswo von den Familien übernommen und nicht mit der Arbeit ausgebildeter Pflegekräfte in Verbindung gebracht.

KNA: Die Deutsche Stiftung Patientenschutz erklärt, das deutsche Pflegesystem sei für viele ausländische Fachkräfte nicht attraktiv genug...

Isfort: Da ist was dran, das sehen wir im Institut auch so. Das deutsche Pflegesystem ist im internationalen Vergleich aktuell nicht konkurrenzfähig und scheint wenig attraktiv. Bezahlung und Sozialprestige sind im europäischen Vergleich eher schlecht. Die Arbeitsbelastung ist deutlich höher, die Personalschlüssel sind niedriger. Außerdem sind die Kompetenzen vielfach beschränkter, genauso wie die Karrierechancen. Das alles gilt für die Altenpflege noch stärker als für die Krankenpflege. Ausgebildete und gut qualifizierte Pflegekräfte aus anderen Ländern gehen also deutlich lieber nach Skandinavien, in die Benelux-Staaten, nach Österreich oder Großbritannien.

KNA: Die Rede ist sogar vom Pflexit, also von der Abwanderung deutscher Pflegekräfte ins Ausland...

Isfort: Es gibt da keine genauen oder stabilen Zahlen. Insbesondere die grenznahen Regionen etwa in Bayern, Nordrhein-Westfalen oder Schleswig-Holstein können aber ein Lied davon singen, wie schwierig es ist, ausgebildete Personen zu bekommen oder zu halten, wenn sie auch im benachbarten Ausland arbeiten können. Wir vermuten, dass sich die Abwanderung deutscher und die Zuwanderung ausländischer Fachkräfte in etwa die Waage halten.

KNA: Was ist also zu tun?

Isfort: Jens Spahn hat Recht, wenn er die Prozesse zur Integration ausländischer Fachkräfte beschleunigen und Barrieren abbauen will.

Aber auch ausländische Fachkräfte werden nur dann in größerer Zahl kommen, wenn wir unsere Hausaufgaben hier im Lande machen: Arbeitsbedingungen und Bezahlung in der Pflege müssen deutlich verbessert werden. Erst dann werden sich mehr junge Menschen für den Pflegeberuf entscheiden, Berufsaussteiger zurückkehren und Personen, die ihre Arbeitszeit wegen der hohen Belastung reduziert haben, wieder aufstocken. Und erst dann wird das deutsche Pflegesystem auch für gut qualifizierte Fachkräfte aus dem Ausland so attraktiv werden, dass sie eine nennenswerte Größe werden und zur Entlastung beitragen können.

Das Interview führte Christoph Arens.


Jens Spahn / © Kay Nietfeld (dpa)
Jens Spahn / © Kay Nietfeld ( dpa )
Quelle:
KNA