KNA: Mit Ihrem Vorstoß für ein Kopftuchverbot für muslimische Mädchen haben Sie große Aufregung ausgelöst? Die SPD wirft Ihnen beispielsweise vor, damit die Religion des Islam zu stigmatisieren und unsere Gesellschaft weiter zu spalten.
Serap Güler (Staatssekretärin für Integration im Ministerium für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration / CDU): Uns geht es bei der Debatte allein um das Kindeswohl. Das sollte für alle im Mittelpunkt stehen.
KNA: Wo soll das Kopftuchverbot für unter 14-jährige Muslimas gelten und wer soll es am Ende durchsetzen?
Güler: Wir befinden uns hier gerade am Anfang der Diskussion, die wir in der vergangenen Woche angestoßen haben. Es ist wichtig und richtig, dass wir über diese Frage sprechen. Und wir prüfen nun, wo wir rechtliche Möglichkeiten haben.
KNA: Für gläubige Muslime ist es ein Bekenntnis zu ihrer Religion, während Kritiker darin ein Symbol für die Unterdrückung der Frau sehen. Sie behaupten nun, wenn kleinen Mädchen das Kopftuch von ihren Eltern übergestülpt werde, sei dies "pure Perversion" und eine "Sexualisierung" von Kindern. Denn das Kopftuch soll eigentlich die Reize einer Frau vor Männern verbergen.
Güler: Es geht uns bei der Diskussion darum, das Wohl des Kindes zu schützen. Wenn ein siebenjähriges Kind plötzlich mit Kopftuch in die Schule geht, dann hat es sich dafür sicher nicht aus eigenem Antrieb heraus entschieden. Ein junges Mädchen muss nach islamischem Glauben bis zur Pubertät kein Kopftuch tragen. Es ihm dennoch aufzusetzen, sexualisiert das Kind. Genau darum geht es in dieser Debatte. Hier müssen wir ganz klar Position beziehen.
KNA: Vor allem Konservative wenden ein, nicht der Staat, sondern die Eltern erzögen ihre Kinder. Auch in andere Religionen wüchsen die Kinder über ihre Familien hinein. In der katholischen Kirche würden Säuglinge getauft und im Judentum Kleinkinder beschnitten.
Güler: Natürlich erziehen die Eltern ihre Kinder, gerne auch religiös. Für uns ist dies auch keine Religionsdebatte, sondern eine für die freie Entfaltung des Kindes.
KNA: Tragen Sie hier am Ende nicht politische Auseinandersetzungen auf dem Rücken von Kindern aus?
Güler: Nein. Jede junge Frau soll sich frei entscheiden können, ob sie ein Kopftuch tragen will oder nicht. Das heißt dann auch: Wenn sich eine junge Frau dazu entschließt, ein Kopftuch tragen zu wollen, dann sollte diese freie Gesellschaft auch das akzeptieren und respektieren. Aber diese Entscheidung kann ein Mädchen im Kindergarten- oder Grundschulalter noch nicht fällen. Übrigens bekomme ich von vielen muslimischen Frauen großen Zuspruch zu unserem Vorschlag. Sie unterscheiden da sehr genau. Mich freut dieser Zuspruch, weil er zeigt, dass wir hier ein Thema anpacken, das vielen Muslimas wichtig ist.
KNA: Was unterscheidet beispielsweise ein muslimisches Kopftuch von einer jüdischen Kippa? Wollen Sie jetzt alle religiösen Symbole aus Schulen und Kindergärten verbannen?
Güler: Nein. Aber wir sind gegen einen Missbrauch religiöser Symbole.
KNA: Wie wollen Sie als Integrationsstaatssekretärin gläubigen Muslimen erklären, dass ihre Kinder das Kopftuch ablegen müssen, während zum Beispiel katholische Mädchen Halsketten mit dem christlichen Kreuz tragen?
Güler: Wenn ein Kind eine Kette mit Kreuz trägt, kann es die später abnehmen, ohne sich hierfür groß rechtfertigen zu müssen oder ohne, dass sich etwas Grundsätzliches in seinem Leben ändert. Bei vielen Mädchen muslimischen Glaubens ist das mit einem Kopftuch aber nicht so einfach. Das soziale Umfeld erzeugt häufig einen so starken Druck, dass es nicht ohne große Spannungen möglich ist, sich später gegen das Kopftuch zu entscheiden. Manche Eltern wollen auch, dass das Kind so früh wie möglich ein Kopftuch trägt, um diesen Schritt später nicht zu hinterfragen. Insofern ist dies der falsche Vergleich.
KNA: Gleichzeitig ziehen Sie gegen das Kopftuch in Schulen und Kindergärten zu Felde, weil Sie Entwicklungen stoppen wollen, dass religiöse Hardliner der Erdogan-Regierung und Salafisten immer mehr Einfluss auf das Alltagsleben der deutschen ausüben. Stellen Sie damit nicht den gesamten Islam unter Extremismus-Verdacht?
Güler: Nein. Das ist nur eine von vielen Erklärungen, warum heute mehr muslimische Kinder ein Kopftuch tragen, als etwa vor zehn Jahren. Und ich glaube, dass man gerade mir, wo ich mich ganz klar zu meiner islamischen Religion bekenne, diesen Vorwurf nicht machen kann.
KNA: Nordrhein-Westfalen ist bereits im März 2015 mit einem generellen Kopftuchverbot für muslimische Lehrkräfte vor dem Bundesverfassungsgerichtshof gescheitert. Wie wollen Sie jetzt ein Kopftuchverbot für religionsunmündige Kinder verfassungsrechtlich wasserdicht durchsetzen?
Güler: Wir befinden uns erst am Anfang eines Prozesses und diskutieren verschiedene Möglichkeiten, wie wir als Staat Kinder noch stärker schützen können. Jedes Kind soll frei in unserem Land aufwachsen können. Dafür machen wir uns stark.
Das Interview führte Johannes Nitschmann.