DOMRADIO.DE: Für alle, die sich mit der Krankheit nicht tagtäglich beschäftigen: Seit einigen wenigen Jahren ist eine Ansteckung definitiv kein Todesurteil mehr, richtig?
Pfarrer Stefan Hippler (Pfarrer in Südafrika und Aids-Aktivist): Das ist richtig so. Auch die WHO (Weltgesundheitsorganisation, Anm.d.Red.) hat das dieses Jahr noch einmal ganz klar bestätigt. Wer in Behandlung und unter der Nachweisgrenze ist und keine Geschlechtskrankheit hat, der kann nach sechs Monaten den Virus nicht mehr weitergeben. Das heißt, Behandlung ist sozusagen auch Vorbeugung.
DOMRADIO.DE: Führt denn dieser Fortschritt der Medizin vielleicht dazu, dass die Betroffenen etwas sorgloser sind, da man von der Krankheit nicht mehr das Schlimmste befürchten muss?
Hippler: Das ist eine sehr schwierige Frage. Ich denke, es geht erst mal darum, dafür zu sorgen, dass es weniger Infektionen gibt. Wenn das auch dazu führt, dass man die Krankheit ein bisschen leichter sieht, dann mag das sein. Aber wenn Sie jeden Tag Tabletten nehmen müssen, wenn Sie immer wieder medizinische Checks durchführen müssen, ist es so einfach auch nicht. Die Medikamente haben ja auch Nebenwirkungen.
DOMRADIO.DE: Jetzt würde man vermuten, dass der stärkste Anstieg von Neuinfektionen in Ihrem Wirkungskreis zu verzeichnen ist, im südlichen Afrika. Warum aber sind Osteuropa und Russland so stark betroffen?
Hippler: Acht von zehn Neuinfektionen in Osteuropa kommen aus Russland und das ist wirklich sehr besorgniserregend. Das hat zu tun mit dem Drogengebrauch. Acht von zehn Neuinfektionen dort kommen dadurch, dass Menschen Drogen nehmen und diese mit der Spritze zu sich nehmen. Dazu kommt die problematische repressive russische Drogenpolitik. Menschen, die ein Drogenproblem haben, kommen nicht und sagen: 'Ich habe ein Drogenproblem und deswegen müsste ich auch einen HIV-Test machen lassen.' Das ist so eine Grauzone, wo noch sehr viel geheim gehalten wird. Und solange in Russland, in der Ukraine und in anderen Ländern die Frage des Drogenmissbrauches nicht offen diskutiert wird und auch die entsprechenden Gesetze nicht verabschiedet werden, werden wir dort einen weiteren Anstieg der Neuinfektionen sehen.
DOMRADIO.DE: Kommen wir noch mal zurück zu Ihrer Region, das südliche Afrika. Wie ist die Situation von HIV- und Aids-Betroffenen dort bezogen auf die Botschaften der religiösen Führer - die katholische Kirche zum Beispiel?
Hippler: Es gab gestern eine ganz interessante Debatte auf der Aids-Konferenz hier in Amsterdam. Da wurde die Frage gestellt, ob die Botschaften, die religiöse Führer von sich geben, die Ungleichheit von Frau und Mann verstärken – indem Frauen stigmatisiert werden, die vor der Ehe Geschlechtsverkehr haben. Da ging es um die Frage der Jungfräulichkeit gerade auch in der katholischen Kirche. Und die meisten der Menschen, die dort debattiert haben, waren der Meinung, dass Religion durchaus dazu beiträgt, dass Frauen es wesentlich schwerer haben als Männer – auch im Gesundheitssystem. Von Mädchen erwartet man zum Beispiel jungfräulich zu sein vor der Ehe, während Jungs alles verziehen wird. Das hat natürlich auch Konsequenzen, wenn es um die Gesundheitsvorsorge geht und den Umgang mit HIV-Infizierten.
Das Interview führte Tobias Fricke.