Der Freiburger Theologe Eberhard Schockenhoff wendet sich gegen den neuen Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Organspende. "Ich sehe die Gefahr, dass künftig eine andere Logik in die Kliniken einzieht. Nämlich dann, wenn Transplantationsbeauftragte durch die Stationen gehen mit dem Ziel, möglichst früh möglichst viele potenzielle Spender zu identifizieren", sagte Schockenhoff am Mittwoch der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA).
Dann wäre der Grundsatz gefährdet, dass das Wohlergehen des Sterbenden im Mittelpunkt der ärztlichen Bemühungen steht. Es gebe auch deswegen weniger Organspenden, weil die Medizin gelernt habe, auf aussichtslose Behandlungen zu verzichten, so Schockenhoff.
Langwieriges Prozedere
Inhabern eines Organspendeausweises sei oft nicht bewusst, dass ihre Spendenbereitschaft auch die Zustimmung zu intensivmedizinischen Behandlungen wie Beatmung und Kreislauferhaltung voraussetze. "Der Eintritt des Hirntods als Bedingung für die Organentnahme ist keine Sache von fünf Minuten, sondern kann sich über Tage, im Extremfall sogar über Wochen hinziehen", so der Theologe, der an der grundlegenden Stellungnahme des Deutschen Ethikrats zur Organspende 2015 mitarbeitete. In wenigen Einzelfällen könne die intensivmedizinische Versorgung zudem nicht zum Hirntod führen, sondern zum Wachkoma. "Und das ist die für den Patienten wohl schlechteste Situation."
Schockenhoff wandte sich entschieden gegen den von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) zur Diskussion gestellten Systemwechsel von der jetzigen Zustimmungs- zur Widerspruchslösung. Dann wäre jeder Bürger ein potenzieller Organspender, der dem nicht explizit widerspricht.
Widerspruchslösung geht gegen Patientenwohl
"Die Widerspruchslösung könnte dazu führen, dass ein sterbender Patient als Spender gilt und intensivmedizinisch behandelt wird, obwohl er dies nie wollte." Eine Widerspruchslösung in Verbindung mit dem offensiven Suchen nach Spendern durch Transplantationsbeauftragte könnte zu einer "unerträglichen Situation" führen, so Schockenhoff.
Denn dann würden "fremdnützliche Überlegungen über das Patientenwohl" gestellt. Die Balance zwischen der Wahrung der Autonomie des Patienten und der moralisch berechtigten Erwartungen von Kranken, die auf ein Spendeorgan angewiesen sind, sei dann nicht mehr gewahrt, betonte der Ethiker.