Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat dafür geworben, die gesellschaftliche Vielfalt als Chance anzuerkennen. Bei ihrer Rede zum 40-jährigen Bestehen des Amtes der Integrationsbeauftragten sparte sie an diesem Mittwoch in Berlin auch nicht mit Selbstironie: "Ich stehe hier für eine Partei, die besonders lange gebraucht hat, anzuerkennen, dass wir ein Einwanderungsland sind", meinte die Kanzlerin. Viele täten sich immer noch schwer damit, Vielfalt positiv wahrzunehmen, fügte sie hinzu.
Zugleich kritisierte sie, dass Menschen mit Migrationshintergrund nach wie vor benachteiligt seien. So hätten es Bewerber mit ausländisch klingendem Namen nachweislich schwerer, einen Arbeitsplatz zu bekommen. "Da müssen wir weiter nach vorne kommen", so Merkel.
Vielfalt als Wert sehen
Auch die derzeit amtierende Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Annette Widmann-Mauz (CDU) betonte, Vielfalt müsse als "Wert angesehen und erlebt werden". Diejenigen, die das nicht anerkannten, seien die "wahren Integrationsverweigerer". Zugleich dürften aber auch Ängste und Sorgen, die viele mit dem Thema Einwanderung verbänden, nicht verschwiegen werden. "Darüber muss geredet werden", so Widmann-Mauz.
Der Tonfall, in dem in Deutschland über Zuwanderung und Integration gesprochen wird, hat sich in den 40 Jahren seit der Berufung des ersten "Beauftragten der Bundesregierung für Ausländerfragen" geändert. Die Probleme sind aber im Kern dieselben geblieben: Parallelgesellschaften, Diskriminierung von Zuwanderern auf dem Arbeitsmarkt, im Alltag und im Bildungssystem. "Ärmel aufkrempeln und weitermachen, damit wir alle ein noch besseres Deutschland werden", sagte die Bundeskanzlerin in ihrer Rede.
Kühn war erster Ausländerbeauftragter
Als erster Politiker trat der frühere nordrhein-westfälische Ministerpräsident Heinz Kühn (SPD) 1978 das Amt des Ausländerbeauftragten im Bund an. Er warb schon 1979 dafür, anzuerkennen, dass Deutschland durch "Gastarbeiter"-Anwerbung, Familiennachzug und die Aufnahme von Bürgerkriegsflüchtlingen faktisch zu einem "Einwanderungsland" geworden sei. Also müsse man mehr Ressourcen in Sprachförderung und andere Maßnahmen für die Kinder der Zuwanderer stecken. Nach Kühn gab es nur noch Frauen auf dem Posten, der inzwischen mit einem größeren Stab im Bundeskanzleramt angesiedelt ist.
Integrationsbeauftragte mit Migrationshintergrund
Dass mit Aydan Özoguz (SPD) 2013 erstmals eine Politikerin mit Migrationshintergrund als Beauftragte ausgewählt wurde, kam bei den Migrantenverbänden gut an. Der anfangs geäußerte Verdacht einiger, Özoguz werde wegen ihrer Wurzeln vor allem die Belange der Deutschtürken in den Blick nehmen, bewahrheitete sich nicht. Durch die Ankunft von jeweils Hunderttausenden Asylbewerbern in den Jahren 2015 und 2016 verschob sich der Schwerpunkt in dieser Zeit hin zu Sprachkursen, Hilfsangeboten und Studien, die sich vor allem mit der Flüchtlingszuwanderung befassten.
Experten loben, Özoguz habe durch die Förderung von Untersuchungen zur Situation verschiedener Zuwanderer-Gruppen geholfen, mehr Sachlichkeit in eine emotional aufgeladene Debatte zu bringen. Anderen bleibt aus ihrem vierjährigen Wirken trotzdem eher die Attacke der AfD auf die Staatsministerin in Erinnerung.
Auseinandersetzungen mit Rechtspopulisten
Ausgelöst wurde der Konflikt im Mai 2017 durch einen Gastbeitrag, in dem Özoguz den "ideologisch beladenen Kampfbegriff" der "Leitkultur" kritisierte und feststellte, ausländische Einflüsse hätten Deutschland stark geprägt. Sie schrieb: "Eine spezifische deutsche Kultur ist, jenseits der Sprache, schlicht nicht identifizierbar."
Alexander Gauland, damals Spitzenkandidat der Rechtspopulisten für die Bundestagswahl, polterte daraufhin, man solle die SPD-Politikerin "in Anatolien entsorgen". Für den stellvertretenden Vorsitzenden des Sachverständigen Rates deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR), Haci-Halil Uslucan, ist das eine 2diffamierende Aussage2, die Özoguz und ihre Herkunft verächtlich macht.
Politik sollte Integrationsbeauftragte stärken
Özoguz besuchte zwar viele Projekte, erstellte Berichte. Das Scheinwerferlicht suchte sie aber selten. Ihre Nachfolgerin im Amt, die CDU-Politikerin Annette Widmann-Mauz (CDU), ist öffentlich präsenter. Die Linke-Bundestagsabgeordnete Gökay Akbulut sagt, die Bundesregierung höre viel zu selten auf den Rat der Integrationsexperten. Die Beauftragte habe nur eine "Alibi-Rolle".
Der Bundesvorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Gökay Sofuoglu, würde sich für den Posten sogar mehr Sichtbarkeit und Kompetenzen wünschen. Er sagt: "Wir als Einwanderungsgesellschaft brauchen ein Ministerium, das eine angemessene und effiziente Koordination des Querschnittsthemas Integration und Teilhabe organisiert." Dieses Ministerium sollte "ein Motor für Gesetzesinitiativen sein und zur Entwicklung einer nachhaltigen Integrationsstrategie beitragen".
Mehr Berührungspunkte zu Migranten
Uslucan hält ein eigenes "Integrationsministerium" wegen der großen Überschneidungen mit den Ressorts Bildung und Arbeit nicht für sinnvoll. Dass Integrationsprobleme heute stärker diskutiert werden als in der Phase der "Gastarbeiter"-Einwanderung, führt er darauf zurück, dass die Kontakte heute trotz aller Vorbehalte enger sind. Er sagt: In den 70er Jahren gab es wenig Probleme, aber auch wenig Berührungspunkte zwischen den Einheimischen und den sogenannten Gastarbeitern.
In der ersten Phase nach der Ankunft ist es für Zuwanderer ohne Sprachkenntnisse und formale Bildung seiner Ansicht nach gar nicht unbedingt schlecht, wenn sie viel Zeit mit Landsleuten verbringen. Diese "Parallelgesellschaften" könnten auch Orientierung geben, indem der schon länger in Deutschland lebende Zuwanderer dem Neuankömmling hilft, sich zurechtzufinden. "Später kann das Leben in so einem Milieu aber schon die Integration und den gesellschaftlichen Aufstieg hemmen", gibt der Direktor des Zentrums für Türkeistudien und Integrationsforschung an der Universität Duisburg-Essen zu bedenken.
Fremdenfeindlichkeit unter "Gastarbeitern"
Dass auch unter den Nachfahren der "Gastarbeiter" nicht alle für die Aufnahme vieler Flüchtlinge sind, hat vielleicht auch damit zu tun, dass ihr "Ausländer-Sein" durch die Flüchtlinge wieder stärker thematisiert wird. Uslucan sagt: "Seit der großen Flüchtlingszuwanderung der Jahre 2015 und 2016 erleben die "Bestandsmigranten" oft, dass sie mit den Neu-Zuwanderern in einen Topf geworfen werden. Das nervt Menschen, die hier seit Jahrzehnten leben, natürlich."