Eigentlich ist die Sache klar. Den Bundestag dürfen alle deutschen Staatsbürger wählen, die am Wahltag 18 Jahre oder älter sind, vereinfacht gesagt. Doch der Teufel steckt bekanntermaßen im Detail. Und der steht insbesondere in Paragraf 13 des Bundeswahlgesetzes.
Demnach ist vom Wahlrecht ausgeschlossen, "wer infolge Richterspruchs das Wahlrecht nicht besitzt". Hinzu kommen Menschen mit einer geistigen Behinderung, die in einer "dauerhaften Vollbetreuung" leben, und "schuldunfähige Straftäter»", die in psychiatrischen Krankenhäusern untergebracht sind.
Urteil des Bundesverfassungsgerichts
Zu diesen beiden letztgenannten Gruppen gehören insgesamt schätzungsweise 85.000 Menschen. Ihnen bleibt der Urnengang bislang verwehrt. Das Bundesverfassungsgericht hat das im vergangenen Februar in seiner Entscheidung für verfassungswidrig erklärt. Wer auf eine von einem Gericht bestellte Betreuung angewiesen sei, könne nicht pauschal von Wahlen ausgeschlossen werden.
In einem Antrag hatte nun der Bundestag am vergangenen Freitag seine Absicht bekundet, dies zu ändern, entsprechende Gesetzentwürfe von FDP und Grünen aber abgelehnt. Zur Europawahl im Mai könne der Ausschluss damit nicht aufgehoben werden, bedauerten Vertreter der Regierungsfraktionen achselzuckend.
"De facto eine Arbeitsverweigerung"
Grüne, Linke und FDP wollten das nicht hinnehmen. Und entschieden sich, den Gang nach Karlsruhe anzutreten. Dass der Ausschluss nicht zügige aufgehoben werde, sei eine Missachtung des Bundesverfassungsgerichts und de facto eine Arbeitsverweigerung, so der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Stephan Thomae. Es brauche eine "rettende Sofortmaßnahme".
Auch die Erste Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen im Bundestag, Britta Haßelmann, betonte, für die betroffenen Menschen sei es diskriminierend, nicht an den Wahlen teilnehmen zu dürfen. Der rechtspolitische Sprecher der Linken, Friedrich Straetmanns, erklärte, er rechne mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in "drei bis vier Wochen".
Kritik an pauschalem Ausschluss
Schon lange hatten sich Verbände und andere Einrichtungen für eine Änderung eingesetzt. Der Leiter der "Monitoring-Stelle der UN-Behindertenrechtskonvention" in Berlin, Valentin Aichele, erklärte mehrfach, dass die von Deutschland unterzeichnete und 2009 hierzulande in Kraft getretene UN-Behindertenrechtskonvention einen solchen pauschalen Ausschluss verbietet.
Auch der Behindertenbeauftragte der Bundesregierung, Jürgen Dusel, mahnte in den vergangenen Monaten immer wieder eine Umsetzung an.
Unzureichende Betreuung
Auch wenn es aus Karlsruhe eine schnelle Entscheidung zugunsten der bislang ausgeschlossenen Gruppe gibt, ist schon jetzt klar, dass viele von ihnen bei einer Umsetzung Hilfe benötigten - angefangen von Informationen in Leichter Sprache bis hin zu einer Betreuung bei der Stimmabgabe.
Daran hapert es schon jetzt, wie Irmgard Reichstein von der Stiftung taubblind leben erläutert. Taubblinde trifft der Wahlausschluss zwar nicht. "Aber eine Assistenz müssen die meisten Betroffenen selbst finanzieren."