Werk von Anke Feuchtenberger lässt viel Raum zum Entdecken

Der Comic-Altar erzählt eine andere Passionsgeschichte

Das Kunstwerk von 1450 in den Dialog zu bringen – so lautete der Auftrag des LWL-Museums in Münster an die Künstlerin Anke Feuchtenberger. Sie hat es gemacht – mit einem Comic. Und: Es wirkt.

Autor/in:
Johannes Schönwälder
Luftaufnahme vom Sankt-Paulus-Dom in Münster / © Julia Steinbrecht (KNA)
Luftaufnahme vom Sankt-Paulus-Dom in Münster / © Julia Steinbrecht ( KNA )

Es ist moderne Kunst, die dennoch ihren Platz in einer Mittelalter-Sammlung hat. Seit September vergangenen Jahres hängt ein Werk der deutschen Künstlerin Anke Feuchtenberger (55) im LWL-Museum für Kunst und Kultur in Münster. "Tracht und Bleiche" heißt es. An zentraler Stelle hängt die etwa fünf Meter breite und drei Meter hohe Arbeit an der Wand gegenüber dem fast ebenso großen "Halderner Altar". Der wurde um 1450 von einem bedeutenden westfälischen Maler mit dem Notnamen "Schöppinger Meister" geschaffen und zeigt zentral die Kreuzigung Christi sowie Stationen aus der Leidensgeschichte.

Mehr als 50 Personen – vom Gekreuzigten über die Gottesmutter und Maria Magdalena bis zu den Soldaten und dem zuschauenden Volk – sind auf den 13 Tafeln der Innenseite zu sehen. Ein Wimmelbild.

Comic-Werk modernes Pendant

Zu diesem Altar ist Feuchtenbergers Werk ein modernes Pendant. Und genau das war der Auftrag, den das Museum am Domplatz 2016 an die Comic-Zeichnerin herantrug.

Sie sollte ein Kunstwerk schaffen, das "in Dialog" zum alten Altar tritt und so dem Betrachter vielleicht den Zugang erleichtert, wie Museumsdirektor Hermann Arnhold es ausdrückt.

Die Comic-Künstlerin schuf einen Comic-Altar. Der besteht aus 31 zusammenhängenden wabenförmigen Bildplatten, die zentral und in fast voller Höhe einen alten Baum mit nach links und rechts auskragenden Ästen sowie einen sich drumherum windenden Fluss zeigen. Die Bildplatten erzählen – in einer bestimmten Reihenfolge betrachtet – eigene Geschichten.

Geschenk für die Comic-Künstlerin

Sie sei anfangs überzeugt davon gewesen, die Falsche für das Projekt zu sein, bekennt Feuchtenberger. Jetzt aber betrachte sie den Auftrag "als Geschenk".

Die gebürtige Ostberlinerin studierte an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee und arbeitet im Rahmen einer Professur an der Hamburger Hochschule für Angewandte Kunst. Nebenher ist sie freiberuflich tätig. Ihr Hauptsujet sind "Graphic Novels", comic-hafte Bücher, die in Illustrationen mit meist daneben gestellten kurzen Texten Geschichten erzählen. Mit den landläufig bekannten Comics haben diese Bücher nichts zu tun. Aufgrund ihrer Komplexität und anspruchsvollen Erzählweise richten sie sich meist an Erwachsene.

"Nicht die Kreuzigung"

Feuchtenbergers Bilder sind denn auch nicht bunt, nicht niedlich und keinesfalls lustig, sondern wirken eher düster, bedrohlich und abweisend. Auch bei ihrem Comic-Altar arbeitete sie mit Kohle. Die Bildgestaltung in Schwarz, Grau und Weiß steht in starkem Kontrast zum Werk des "Schöppinger Meisters" vier Meter gegenüber.

"Ich war mir klar darüber, dass ich die Kreuzigung nicht erzählen kann", sagt sie. Aber sie wollte aus ihrer familiären Erfahrung vom Leiden der Frauen im Krieg berichten – und den Auswirkungen, die er auf Generationen von Frauen habe.

Deutung der Künstlerin

So geht es auf ihrem Altar um das Mädchen "Katherlieschen" – entlehnt dem wirren Schwank "Frieder und das Katherlieschen" bei den Brüdern Grimm. Es macht sich samt Haustür auf dem Rücken auf und geht in den Baum.

Oder um die Mutter, die der am Baum sitzenden Großmutter Essen bringen will und von marodierenden Gruppen von Soldaten vergewaltigt wird. Und um einen Bienenschwarm, der samt Königin im Baum ein neues Zuhause findet.

Detailreiche Darstellung

Das ist es, was Feuchtenberger selbst ihrem Werk an Geschichten zuordnet. Der unvoreingenommene Betrachter wird vieles davon nicht erkennen. Er wird die Parallelen zum mittelalterlichen Altar sehen, etwa im Aufbau des Bildes oder in den Soldatenfiguren.

Er kann die vereinzelt eingefügten Textzeilen lesen und etwa die Bienen als Kriegsflugzeuge deuten. Und er weiß vielleicht, dass den Bienen bis ins Mittelalter eine "jungfräuliche Geburt" zugesprochen wurde, weil die Menschen nicht wussten, dass die Königin außerhalb des Bienenstocks beim Hochzeitsflug begattet wird.

Eigene Geschichten und Leidensgeschichte Christi

Zu allem anderen muss und kann der Betrachter seine eigenen Geschichten finden; Feuchtenbergers Werk gibt viel Gelegenheit dazu.

Zugleich wird er immer wieder zum Mittelalter-Altar schauen, um Analogien zu der ihm bekannten Leidensgeschichte Christi zu erkennen.

Vielleicht entdeckt er sie sogar neu. Dann hätte der Comic-Altar seinen Auftrag mehr als erfüllt.


Quelle:
KNA
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