DOMRADIO.DE: Ärzte sollen mit bis zu 99 Jahren Haft bestraft werden. Selbst bei Vergewaltigung oder Inszest ist eine Abtreibung nicht erlaubt. Kritiker sagen, damit versetzt sich Alabama zurück ins Mittelalter. Warum diese Härte?
Prof. Dr. Godehard Brüntrup (Jesuitenpater und USA-Experte): Zunächst einmal: Das Gesetz hat überhaupt keine Wirkung. Es ist ein rein politischer Schachzug. Denn es gilt ja weiterhin das Bundesgesetz von 1973 "Roe v. Wade", nach dem in den ganzen USA Abtreibungen erlaubt sind. Solange das Bundesgericht seine Meinung nicht ändert, wird dieses Gesetz in Alabama auch nicht wirksam werden können. Es ist also ein politischer Schachzug, denn Trump wurde von vielen Christen gewählt, um die unglaublich liberale Abtreibungsgesetzgebung in den USA restriktiver zu machen.
In New York wurde gerade ein Abtreibungsgesetz verabschiedet, was unter gewissen Bedingungen Abtreibungen bis zum 9. Monat erlaubt. Das wurde in der Stadt mit angestrahlten Hochhäusern gefeiert. Dagegen wenden sich jetzt die Initiativen solcher Staaten wie Ohio, Georgia, Kentucky und Mississippi und man hofft, dass sich der Konflikt bis zum Obersten Bundesgericht hocharbeitet und mit der neuen Mehrheit von konservativen Richtern endlich für das ganze Land ein restriktives Gesetz erlassen wird.
DOMRADIO.DE: Alabama liegt im sogenannten Bibelgürtel der USA und gilt als einer der konservativsten Staaten. Evangelikale sind ja sowieso kategorisch gegen Abtreibung. Wie sieht es bei den Katholiken aus: Betrachten die das differenzierter? Gibt es eine Mehrheit für die eine oder andere Seite?
Brüntrup: Die Katholiken sind mehrheitlich, fast einhellig gegen die bestehende Abtreibungsgesetzgebung. Ein bisschen differenzierter ist das im breiten Kirchenvolk. Aber die meisten Katholiken haben die Einstellung, dass die gegenwärtige Regelung vom Obersten Bundesgerichtshof einfach zu liberal ist und dass man den einzelnen Staaten entweder wieder die Möglichkeit geben soll, das selber zu regeln, oder dass eine restriktivere Gesetzgebung kommen soll.
DOMRADIO.DE: Wie realistisch ist es, dass die konservativen Staaten in diese Richtung Erfolg haben werden?
Brüntrup: Es ist sehr realistisch. Das war ja der Grund, warum Trump von vielen gewählt wurde. Er ist mit diesem Versprechen angetreten, neue konservative Richter zu ernennen, und hat mittlerweile eine ganz knappe Mehrheit im Obersten Gerichtshof. Trump hat 2016 das Wahlversprechen gegeben, dass die Abtreibungsgesetzgebung "Roe v. Wade" unter seiner Präsidentschaft fallen wird, und die Wahrscheinlichkeit, dass etwas in der Richtung passiert, ist nicht gering.
DOMRADIO.DE: Wobei wir mit Blick auf Donald Trump sagen müssen, dass er ursprünglich gar kein so ein dezidierter Abtreibungsgegner war, oder?
Brüntrup: Ich glaube nicht, dass Donald Trump von sehr tiefen Überzeugungen getrieben ist. Donald Trump ist ein Mensch, der das macht, was ihn an der Macht hält. Und das ist jetzt sicherlich ein Schachzug, weil das viele Menschen sehr bewegt – gerade Christen und Christinnen in den USA. Er macht Dinge, die ihm Mehrheiten verschaffen, und ohne dieses Versprechen hätte er die Präsidentschaftswahl gar nicht gewonnen.
DOMRADIO.DE: Sie sagen ja ganz klar, unter den Christen ist das keine Frage, die begrüßen solche Initiativen. Wie sieht es in der breiten Bevölkerung und den liberalen Oststaaten aus?
Brüntrup: Ein so restriktives Gesetz, wie es jetzt in Alabama als Versuchsballon erlassen wurde, wird sicherlich von der breiten Mehrheit der Bevölkerung nicht geteilt. Es gibt eine sehr starke Pro-Choice-Bewegung, die eine vollständige Freigabe von Abtreibung fordert. Die Vorstellung, dass die Frau allein und souverän die Entscheidung über das Leben des Kindes hat, hat einen starken Rückhalt in breiten Kreisen der USA und das ist das geltende Recht.
Das Interview führte Hilde Regeniter.