Gibt es eine moralische Pflicht zur Organspende? Wie weit darf der Staat die Bürger zur Entscheidung drängen oder ihnen diese gar abnehmen? Diese Fragen stehen hinter den beiden Gesetzentwürfen, die von Parlamentariergruppen aus unterschiedlichen Fraktionen getragen.
Eigentlich wollten viele Abgeordnete nach einer Orientierungsdebatte im Bundestag zunächst die Ergebnisse der Strukturverbesserungen in der Transplantationsmedizin abwarten. Die Kliniken gelten als Nadelöhr. Viele von ihnen meldeten mögliche Organspender erst gar nicht - wegen Überlastung oder aus finanziellen Gründen.
Das soll nun ein eigener Transplantations-Beauftragter ändern. Dennoch drückten Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und SPD-Fraktionsvize Karl Lauterbach (SPD) auch bei der Neuordnung der Spende aufs Tempo und legten am 1. April den Gesetzentwurf für eine Widerspruchslösung vor.
Spahn plädiert für Widerspruchslösung
Demnach soll künftig jeder Mensch nach seinem Ableben als möglicher Organspender gelten, es sei denn, er hat zu Lebzeiten widersprochen. Dazu sollen alle Personen ab 16 Jahren ausführlich informiert und als Spender registriert werden. Sie können dem aber widersprechen und dies in einem bundesweiten Register dokumentieren; der Eintrag kann jederzeit revidiert werden.
Im Zweifel sollen Angehörige befragt werden, die glaubhaft machen müssen, dass der Betroffene kein Spender sein wollte. Die Bundesärztekammer und zahlreiche medizinische Fachgesellschaften unterstützen den Vorschlag.
Kritiker bemängeln "Übergriffigkeit des Staates"
Vielen Bundestagsabgeordneten geht diese Lösung hingegen zu weit. Sie sehen darin eine Übergriffigkeit des Staates. So legten die CDU-Gesundheitsexpertin Karin Maag (CDU), die Parteivorsitzende der Grünen, Annalena Baerbock, Hilde Mattheis (SPD), Katja Kipping (Linke) sowie Christine Aschenberg-Dugnus (FDP) einen Alternativentwurf vor, der an der bestehenden freiwilligen Zustimmung festhalten, aber für mehr Verbindlichkeit bei der Entscheidung sorgen will.
Den grundsätzlichen Unterschied zu Spahn und Lauterbach brachte Kipping auf den Punkt: "Wir wollen, dass möglichst viele Menschen sich bewusst für ein Ja entscheiden", im Sinne einer "informierten Zustimmung". Spahn wolle hingegen, dass möglichst wenige "Nein" sagten.
Selbstbestimmungsrecht respektieren
Die Abgeordneten haben auch verfassungsrechtliche Bedenken. "Schweigen als Willenserklärung umzudeuten, das kennt das deutsche Recht nicht", meinte Aschenberg-Dugnus. Sie verlangte, gerade in einer so wesentlichen Frage das Selbstbestimmungsrecht zu respektieren. Ferner stellt der Automatismus der Widerspruchslösung den Spendencharakter infrage. Unklar ist auch das Verhältnis von Patientenverfügung und Organspende. Die Erhaltung der Organe verlangt den frühzeitigen Einsatz von Intensivmedizin.
Der Entwurf sieht ein Online-Register beim Deutschen Institut für Medizinische Dokumentation und Information vor. Hier kann jeder Bürger seine Entscheidung hinterlegen oder revidieren. Vor einer Transplantation sollen zudem die Angehörigen über den letzten Willen des Betroffenen befragt werden. Dreh- und Angelpunkt bleiben eine bessere Aufklärung. Dazu soll jeder Bürger etwa bei der Ausstellung von Ausweisdokumenten Informationsmaterial erhalten und sich an ein Infotelefon wenden können. Beraten soll als Vertrauensperson auch alle zwei Jahre der Hausarzt.
"Spende als hochherziger Akt"
Die katholische Kirche steht ebenso wie Patientenschützer dem Vorschlag positiv gegenüber. Sie würdigt die Spende als hochherzigen Akt. Diese müsse aber freiwillig bleiben - nicht zuletzt um das Vertrauen in die Organspende zu erhalten. Ferner müsse offen darüber gesprochen werden, dass die Organspende den Sterbeprozess verändere, was für nicht wenige Menschen mit erheblichen Unsicherheiten und Ängsten einhergehe.