Kölner Ex-Dombaumeisterin über den Zustand von Notre-Dame

"Innenraum in fünf Jahren sicher nutzbar, Restaurierung wird länger dauern"

Vor einem halben Jahr brannte die Pariser Kathedrale Notre-Dame lichterloh. Bereits kurz darauf versprach Frankreichs Präsident Macron, sie in fünf Jahren wieder aufzubauen. Kölns Ex-Dombaumeisterin über die aktuellen Chancen.

Blick in die Kathedrale Notre-Dame in Paris / © Guillaume Poli (KNA)
Blick in die Kathedrale Notre-Dame in Paris / © Guillaume Poli ( KNA )

DOMRADIO.DE: Hätten Sie vor dem Brand gedacht, dass so etwas passieren kann?

Prof. Barbara Schock-Werner (Koordinatorin der Unterstützungsarbeiten zum Wiederaufbau von Notre-Dame für Deutschland und ehemalige Kölner Dombaumeisterin): Nein, also in allen Kirchen kann es mal brennen. Aber, dass ein Dachstuhl, ein alter Dachstuhl, so schnell so katastrophal abbrennt, das hätte ich nicht vermutet.

DOMRADIO.DE: Die Kirche ist dabei aber nicht eingestürzt. Wie geht es nun mit der Restaurierung, dem Wiederaufbau voran? Man sagt inzwischen, dass selbst die Stabilisierungsarbeiten noch bis nächstes Jahr andauern werden.

Schock-Werner: Ich habe erst vor ein paar Tagen den für den Wiederaufbau hauptverantwortlichen Architekten der Kathedrale, Philippe Villeneuve, getroffen. Er arbeitet immer noch an den Sicherungsarbeiten. Um weitere Einstürze zu verhindern, müssen etwa vom Feuer betroffene Teile rückgebunden und versteift werden.

Das heißt, dass etwa alle Fenster ausgesteift und durch Strebe-Bögen unterstützt werden. Denn es kann noch immer niemand auf die Gewölbe oder unter die Gewölbe. Arbeiten werden - wie er es sagte - von "Eichhörnchen" gemacht. Villeneuve meint damit Kletterer, die abgeseilt werden. Oder die Handwerker arbeiten von Hebebühnen aus, weil aus den oberen Gewölben immer noch Steine runterkommen.

DOMRADIO.DE: Das passiert auch im Moment? Das bröckelt quasi?

Schock-Werner: Nach seinen Aussagen kommen immer wieder Steine runter. Dann muss man untersuchen, wie weit die Gewölbe, die oben geblieben sind, durch den Brand ausgeglüht sind und die Steine ihre Festigkeit verloren haben. Es muss untersucht werden, ob die Steine nur an der Oberfläche verkohlt sind und man sie an Ort und Stelle lassen kann. Das sind schwierige statische Untersuchungen.

DOMRADIO.DE: Gibt es denn dabei schon erste Erkenntnisse?

Schock-Werner: Was wir aktuell wissen, ist, dass auf der Höhe von 20 Zentimetern, was ich erstaunlich wenig finde, die Steine des Randes ringsum ausgeglüht sind. Die sind natürlich beschädigt, die Oberfläche ist abgeplatzt. Aber es wird jetzt untersucht, ob sie noch tragfähig genug sind, den neuen schweren Dachstuhl wieder aufzunehmen.

DOMRADIO.DE: Das ist ist alles Stabilisierungsarbeit. Das heißt: An Restaurierung kann im Moment noch gar nicht gedacht werden?

Schock-Werner: Nein. In den ersten zwei Kapellen wurden erst einmal Reinigungsversuche unternommen. Jetzt wird untersucht, wie die verschiedenen Materialien gereinigt werden können. Innen und Außen hat sich das Blei in Staub-Form überall verteilt. Das sind kleine Flöckchen. Sie sehen wie Haferflocken aus.

DOMRADIO.DE: Das Blei wurde beim Brand freigesetzt. Das zerstörte Dach und der umgestürzte Spitzturm waren mit Hunderten Tonnen Bleiblech bedeckt...

Schock-Werner: Und dieses Blei ist ein wirkliches Problem. Es ist auf den Fenstern und auf den Wänden. Man muss jetzt erst einmal testen, ob man das mit dem Laser reinigen kann oder ob das Blei auf den Laser reagiert und vielleicht dadurch etwas zerstört wird. Das Blei ist überall. Es ist auf den Fenstern und auf den Wänden.

Dazu kommt natürlich, dass auch die Wände seit ewigen Zeiten nicht mehr gereinigt wurden. Das heißt: Der Branddreck vermischt sich mit altem Dreck. Da muss man auch schauen: Wie bekommt man das alles wieder runter?

DOMRADIO.DE: Dreck an den Wänden wird aber wahrscheinlich nicht das dringenste Problem sein?

Schock-Werner: Natürlich kann man auch Gottesdienst feiern, wenn die Kirche noch verrußt ist. Man kann dann Stück für Stück die Kirche reinigen. Ich glaube, das ist im Grunde auch das, was der Architekt vorhat.

DOMRADIO.DE: Das Blei dagegen ist wohl auch ein großes Problem für die Orgel. Da war man ursprünglich sehr froh, dass sie im Großen und Ganzen erhalten geblieben ist.

Schock-Werner: Der Organist war ganz glücklich und hat Interviews gegeben. "Meine Orgel ist nicht beschädigt." Aber in den Untersuchungs-Werkstätten wurde festgestellt, dass das Blei nicht nur außen auf den Orgelpfeifen haftet, sondern auch in den Pfeifen.

Jetzt muss geschaut werden: Verbindet sich das Blei mit dem Blei der Pfeifen? Kann man es aktuell noch einfach durch heftiges Orgelspiel raus blasen? Oder muss man die Orgel ganz auseinandernehmen und reinigen? Die Restaurierung unserer Orgel in Köln hat drei Jahre gedauert. Dabei ist unsere viel kleiner als die Pariser Orgel. Das heißt, da könnte auch richtig Arbeit auf die entsprechenden Leute zukommen.

DOMRADIO.DE: Bedeutet: Alleine schon dadurch werden diese angepeilten fünf Jahre von Frankreichs Präsident Macron eigentlich nicht zu halten sein? 

Schock-Werner: Ja, das ist eben die Frage: Wie definiert man fertig? Geht es ihm nur darum, den Raum wiederzuhaben? Das heißt, möchte er die Gewölbe schließen? Dann kann man abschnittsweise Gerüste stellen und die Wände immer noch sauber machen. Oder danach kann man über den Gewölben den Dachstuhl aufsetzen.

Es kann schon sein, dass der Innenraum in fünf Jahren wieder benutzbar ist. Die Restaurierung der Kirche wird in fünf Jahren sicherlich nicht fertig sein. Die Kirche ist ja durch das Löschwasser klitschnass. Die Fachleute gehen allein davon aus, dass allein die vollkommene Trocknung des Mauerwerks zehn Jahre dauern wird.

Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.


Bauarbeiter stehen bei Vorarbeiten in dem beschädigtem Kirchenschiff der Notre-Dame / © Stephane De Sakutin (dpa)
Bauarbeiter stehen bei Vorarbeiten in dem beschädigtem Kirchenschiff der Notre-Dame / © Stephane De Sakutin ( dpa )

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Pariser Kathedrale Notre-Dame steht in Flammen  / © Michael Euler (dpa)
Pariser Kathedrale Notre-Dame steht in Flammen / © Michael Euler ( dpa )

Architektin Barbara Schock-Werner / © Julia Steinbrecht (KNA)
Architektin Barbara Schock-Werner / © Julia Steinbrecht ( KNA )
Quelle:
DR