DOMRADIO.DE: "Das ist eine beeindruckende Feier gewesen", sagen die Menschen, die dabei waren. Wie haben Sie es empfunden?
Hans-Jürgen Kant (Evangelischer Superintendent des Kirchenkreises Halle-Saalekreis): Es war sehr beeindruckend. Ich fand es richtig gut, dass insbesondere die Opfer ausführlich in den Blick genommen wurden und die Angehörigen mit ihren Gefühlen aufgenommen wurden. Es gab zwei Opfer. Jana L., eine 38-jährige Frau, die Schlagermusik liebte und Autogramme ihrer Stars sammelte, wurde zum Opfer, weil sie den Täter gefragt hatte: "Was machen Sie da?" Dafür wurde sie kaltblütig erschossen.
Das andere Opfer war der 20-jährige Kevin S. aus Merseburg. Er war Malerlehrling, Fan des Halleschen Fußballclubs und in seiner Mittagspause beim Döner. Er wurde zunächst angeschossen, dann erschossen. Diese Opfer und weitere Verletzte hat Landesbischof Friedrich Kramer bei der Eröffnung des Gottesdienstes in den Blick genommen. Speziell auch die jüdische Gemeinde, denn ihr galt ja der Anschlag. Auch Max Privorozki, der Vorsteher der jüdischen Gemeinde in Halle, hat gesprochen - das war sehr beeindruckend.
Es war eine sehr gesammelte Stimmung beim Gottesdienst. Sie hat aufgenommen, was an Gefühlen in Halle ist: die Trauer, die verschleierten Farben, die gedämpfteren Töne, Menschen, die um Fassung ringen, aber auch der Zusammenhalt, der sehr viel greifbarer ist. All das spiegelte sich in dem Gottesdienst wieder.
DOMRADIO.DE: Landesbischof Friedrich Kramer hat in seiner Predigt vom "Wunder" und der "Wunde" von Halle gesprochen. Dem Wunder, dass die Türen der Synagoge gehalten haben, aber auch der Wunde, dass zwei Menschen ums Leben gekommen sind. Gibt das die Stimmung in der Stadt wieder?
Kant: Ja, viele sagen: Was hätte da noch alles passieren können? Denn wenn der Täter die Tür aufgeschossen bekommen hätte, was er auch versucht hat, wäre alles noch viel schrecklicher gekommen. Es waren 51 Menschen in der Synagoge, zum Teil Besucher aus Berlin, die in Halle den Versöhnungstag begehen wollten. Insofern kann man durchaus von einem Wunder sprechen. Aber es ist eben auch eine Wunde, und ich denke, wir werden hier in Halle noch lange damit zu tun haben. Das sind Erfahrungen, die wir gemacht haben, die sich nicht ganz schnell wegstecken lassen und wo man nicht schnell wieder zur Tagesordnung übergehen kann.
DOMRADIO.DE: Viele Menschen haben den Gottesdienst auf dem Marktplatz in Halle mitverfolgt. Wie ist die Anteilnahme in der Stadtgesellschaft?
Kant: Alle sind erschüttert. Viele sind aber auch dankbar dafür, dass das, was ich an Stimmung in der Stadt skizziert habe, aufgenommen wird. Dass es Formen gibt, in denen die Trauer Ausdruck findet - sei es in verschiedenen Andachten oder im Niederlegen von Lichtern und Blumen. Da sind die Kirchengemeinden in der Stadt wichtige Akteure, aber auch Einrichtungen wie "Halle gegen rechts" oder der Verein Zeitgeschichte. Es sind viele dabei, die das Unfassbare, was hier geschehen ist, aufnehmen und die Formen finden, wie man damit emotional umgehen kann.
DOMRADIO.DE: Die Trauerfeier ist vorbei, aber die Trauerarbeit geht natürlich weiter. Was geschieht in Halle in den kommenden Monaten?
Kant: Kurzfristig wird es einen Staatsakt geben, einen Gedenkakt von der Landesregierung und vom Parlament. Die Kirchen planen Ende nächster Woche ein Gedenkkonzert. Und es wird sicherlich Podien und Gesprächsangebote geben, wo dies alles nochmal zur Sprache kommt. Die Marktkirche in der Mitte der Stadt ist offen. Menschen können dort hineingehen und Kerzen anzünden. Unabhängig davon gibt es direkt auf dem Marktplatz einen Gedenkstelle, die mit vielen Blumen und Kerzen geschmückt ist.
Weiterhin wird es natürlich Gespräche geben über Fragen wie: Was können wir jetzt tun? Wo müssen wir unsere Aktivitäten, auch als Kirchengemeinden, verstärken? Wo braucht es mehr Aufklärung und wie können wir den Diskurs über Demokratie und Weltoffenheit weiterführen?
Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.