Als Mauricio Macri vor vier Jahren in Argentinien an die Macht kam, wurde Buenos Aires plötzlich adrett. Bunte Straßenmärkte wurden geschlossen, Bahnhöfe und Alleen erhielten ein neues, aufpoliertes Gesicht. Die Wirtschaft sollte künftig florieren und die Armut verschwinden - oder zumindest nicht mehr so sichtbar sein.
Denn, so ließ Macri einst durchblicken: Die Armen sind selber schuld an ihrer Armut. So gesehen haben offenbar einfach zu wenige Betroffene die Weisheit ihres Präsidenten beherzigt. Denn bei seinem Abtritt an diesem Dienstag hinterlässt der Staatschef, der selbst aus einer Millionärsfamilie stammt, ein armes Land - ein Argentinien, das wieder kurz vor einem Wirtschaftscrash steht.
Zunehmende Armut
Ein Blick auf San Telmo, eines der In-Viertel von Buenos Aires: Mehr und mehr Ladenlokale stehen leer, mittellose Menschen schlafen auf alten, dreckigen Matratzen unter Brücken und Autobahnen. Neben ihnen türmen sich Säcke und Taschen mit ihrem letzten Hab und Gut. Der argentinische Journalist und politische Analyst Carlos Gabetta, der in San Telmo lebt und arbeitet, sieht solche Bilder in ganz Argentinien. "Die Armut hat offensichtlich zugenommen: überall Bettler, Straßenverkäufer, die alles Mögliche verkaufen, um über die Runden zu kommen. Ganze Familien, die nun auf der Straße leben, und Menschen, die in Abfalleimern nach Essensresten suchen."
Das südamerikanische Land hat rund 44 Millionen Einwohner. Gabetta verweist auf einen Bericht der Katholischen Universität von Argentinien, demzufolge 41 Prozent davon kurz vor Macris Amtsende in Armut leben, 10 Prozent sogar in extremer Armut. "Und dies in einem Land, das eines der größten Lebensmittelproduzenten ist", empört er sich. 2015 habe das argentinische Institut für Statistik die Armut noch auf rund 30 Prozent beziffert, fügt der Analytiker an, um die Zunahme unter Macri zu verdeutlichen.
Die Armut will der neue Präsident Argentiniens, Alberto Fernandez, entschieden bekämpfen. Als Mitte-Links-Politiker, der am Dienstag das Ruder von seinem wirtschaftsliberalen Vorgänger übernimmt, will er das Ruder herumreißen. Fernandez hat bereits im Vorfeld eine neue Sozialpolitik angekündigt. "Wir werden nur besser sein, wenn wir weniger Armut haben", sagte der Peronist vor einigen Wochen.
Ein Land in der Rezession
Argentinien befindet sich seit 2018 in einer Rezession. Die Inflation ist beängstigend, mit mehr als 55 Prozent eine der höchsten Raten weltweit. Jeden Monat steigen die Preise in den Supermärkten, auch in der Mittelklasse reichen die Einkünfte von Familien oft nicht mehr bis zum Monatsende. Um Geld fürs Essen zu sparen, lassen mittlerweile viele ihr Auto in der Garage stehen, da auch Benzin teurer geworden ist. Auch die Staatsschulden hätten in den letzten Jahren zugenommen, betont Gabetta.
Schulden, Armut, Inflation, Arbeitslosigkeit, veraltete Infrastruktur, etwa in Krankenhäusern, die Liste der Herausforderungen, denen sich Fernandez stellen muss, ist lang. Was der 60-Jährige als Staatschef außerdem angehen will: die Legalisierung der Abtreibung. Fernandez will dazu bald schon einen Vorstoß in den Kongress einbringen, "das ist ein Problem der öffentlichen Gesundheit, das wir lösen müssen". Ein sehr umstrittenes und polarisierendes Thema im katholischen Argentinien. 2018 protestierten deswegen Hunderttausende Menschen auf den Straßen.
Argentiniens Kirche kritisiert die geplante Erleichterung von Abtreibungen durch Fernandez vehement. Welche Prognose stellt der politische Beobachter für die Zukunft? Die, so Gabetta, werde auch davon abhängen, wie sich der neue Staatschef mit seiner Vizepräsidentin Cristina Kirchner versteht.
"Man darf nicht vergessen, dass Fernandez 2008 als Kabinettschef zurücktrat, als Cristina Präsidentin von Argentinien war. Fernandez hat seine damalige Chefin schwerwiegender Korruption beschuldigt." Noch heute seien zahlreiche Prozesse gegen die frühere Präsidentin im Gange, erinnert Gabetta. Kurzum: "Die Zukunft Argentiniens wirft viele Fragen auf, aber keine einzige Gewissheit." Man könne nur abwarten. Lediglich eine Sache sei gewiss: "Alles was kommt, wird schwierig." Ob politisch, wirtschaftlich oder sozial. "Wir Argentinier werden wohl immer mit dieser existenziellen Angst leben."