KNA: Sie haben im Rahmen der Misereor-Fastenaktion den Libanon bereist. Welche Eindrücke haben Sie gewonnen?
Erzbischof Stephan Burger (Bischof der Erzdiözese Freiburg und Leiter der Kommission für Entwicklungsfragen der Deutschen Bischofskonferenz): Das Land geht sehr schweren Zeiten entgegen, mit viel Unsicherheit, mit vielen Befürchtungen und Ängsten. Es lässt sich nicht absehen, wie die Zukunft aussehen wird, nicht zuletzt aufgrund der wirtschaftlichen und politischen Schwierigkeiten. Menschen ringen um ihre Existenz und versuchen, ihren Alltag zu organisieren. Es fehlt letztlich der große Wurf für die Zukunft. Ich würde es vergleichen mit einem unruhigen Vulkan, bei dem man nie weiß, wann und wo er ausbricht. Das macht die Gesamtlage sehr unsicher. Ich wünsche mir für die Menschen Zukunft und Sicherheit, aber derzeit mangelt es an einer klaren Perspektive. Gleichzeitig bin ich fasziniert von dem konkreten Beitrag, den engagierte Personen hier leisten und wie gut wir als Kirche dazu aufgestellt sind.
KNA: Was hat Sie an den verschiedenen Projekten am stärksten beeindruckt?
Burger: Das A und O, um Zukunft einer Gesellschaft und eines Landes zu gestalten, ist Bildung. Viele Einrichtungen, die wir besucht haben, widmen sich dem Auftrag, Kindern und Jugendlichen Bildung mitzugeben. Damit werden sie befähigt, ihr Leben in die Hand zu nehmen, ihr eigenes Leben aufzubauen und Verantwortung in diesem Land zu übernehmen.
KNA: Viele dieser Projekte beziehen die verschiedenen Bevölkerungsgruppen - Libanesen, Syrer, Iraker, Palästinenser und andere Migranten - ein. Sehen Sie hier eine Chance für einen besseren Zusammenhalt der Gesellschaft?
Burger: Ich halte den Beitrag, der in den einzelnen Projekten geleistet wird, für wesentlich. Es wird ganz konkret Personen und Personengruppen in ihrer jeweiligen Situation geholfen. Es geht um Grundwerte, die uns über Konfessionen und religiösen Ausrichtungen hinaus gemeinsam sind. Hier zeigt sich der Kitt, der er es ermöglicht, Gesellschaft zusammenzuhalten. Wenn man sich auf die gemeinsamen humanitären Werte sowie die Werte der jeweiligen Religion besinnt, wird deutlich, dass es sehr wohl eine Basis gibt, dieses Land zu einen. Die unterschiedlichsten politischen Interessen führen das Land in eine Zerreißprobe, aber es gäbe durchaus Potenzial, mit dieser Gesellschaft in die Zukunft zu gehen. Hier schafft die Kirche mit ihren Hilfswerken und Projekten für Menschen eine Perspektive.
KNA: "Gib Frieden" lautet das Motto der Fastenaktion, gleichzeitig sind wir von diesem Frieden hier weit entfernt. Welchen Auftrag nehmen Sie mit nach Deutschland?
Burger: Dieses Motto ist ein Appell an uns alle! Wir als Kirche von Deutschland und von Europa aus sind aufgerufen, diesen Frieden durch unser Engagement, durch unsere finanzielle Hilfe und die verschiedenen Projekte der Hilfswerke wie Misereor zu ermöglichen und weiterzuvermitteln. Wir können ganz konkret für diesen Frieden etwas tun. Zum anderen steckt hinter dem Appell "Gib Frieden" die Bitte an Gott, die Menschen hier zu begleiten und ihnen Möglichkeiten zu eröffnen, in Frieden zu leben. Gott tut das aber nicht ohne uns. Er nimmt uns in die Pflicht, selbst aktiv zu werden. Zugleich nehme ich bei meinen Reisen eine große Dankbarkeit für die geleistete Hilfe wahr. Die Menschen nehmen es nicht als selbstverständlich hin, von der Kirche eines anders Landes, diese Unterstützung zu erfahren. Sie nehmen diese Hilfe sehr bewusst und dankbar an. Die Freude und Zuversicht, die sie daraus schöpfen, motiviert auch mich immer wieder aufs Neue und spornt mich an.
KNA: Sie sind nicht nur Misereor-Bischof. Was raten Sie den Gläubigen Ihres Erzbistums ganz konkret, wie und wo sie sich engagieren können?
Burger: Papst Franziskus sagt, dass alles auf dieser Welt miteinander in Verbindung steht. Wir haben als Christen in Deutschland und in unserem Erzbistum die Verantwortung, die Menschen in Not nicht im Stich zu lassen. Ganz konkret können wir durch unsere finanzielle Unterstützung zeigen, dass wir mithelfen wollen, Frieden zu ermöglichen und die wichtige Basisarbeit, die hier getan wird, fortzusetzen.
Es kann nicht sein, nur einen Tropfen auf den heißen Stein zu geben, sondern es geht darum, um im Bild zu bleiben, viele Tropfen regnen zu lassen, damit dürres Land fruchtbar werden kann. Auf diese Weise wird die Frohbotschaft Jesu für andere erfahrbar. Ich möchte die Gläubigen bitten, dieses Engagement weiter aufrecht zu erhalten. Mit unseren Hilfswerken zeigen wir den Menschen in ihrer Not sehr konkret, dass sie nicht alleingelassen sind, sondern in eine großen Solidaritätsgemeinschaft stehen.