Mitte August putschte das Militär in Mali. Eine Versammlung von rund 500 Vertretern aus Politik und Zivilgesellschaft, das Comite National du Salut Public, votierte anschließend zwar für die Bildung einer Übergangsregierung. Aber wie die aussehen soll, bleibt vorerst offen.
KNA: Herr Bagopha, die Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS hat auf ihrem Sondergipfel in Ghanas Hauptstadt Accra am Dienstag die Sanktionen gegen Mali noch einmal verlängert. Warum?
Raoul Bagopha (Misereor-Länderreferent): Der ECOWAS geht es darum, den Druck auf die Militärs in Mali aufrechtzuerhalten. Sie will, dass ein Zivilist an der Spitze der geplanten Übergangsregierung steht. Vom Tisch scheint die Frage, ob diese Regierung zwölf oder, wie von den neuen Machthabern in Bamako gewünscht, achtzehn Monate im Amt bleibt. Hier scheint man den Putschisten entgegenzukommen.
KNA: Was bedeuten die Sanktionen für die Bevölkerung?
Bagopha: Mali ist abhängig von dem freien Personen- und Güterverkehr mit seinen Nachbarstaaten. Durch die Sanktionen wird das deutlich erschwert, was den wirtschaftlichen Druck auf die Bevölkerung erhöht. Dies wiederum könnte dazu führen, dass extremistische Gruppierungen verstärkt Zulauf erhalten, weil die Menschen keine Perspektive mehr haben. Insofern wächst die Besorgnis unter den Bürgern Malis und sie hoffen auf ein baldiges Ende der Sanktionen.
KNA: Wie geht es jetzt politisch weiter?
Bagopha: In der kommenden Woche wird der ehemalige nigerianische Präsident Goodluck Jonathan als ECOWAS-Gesandter in Bamako erwartet. Bis dahin werden sich die Putschisten vermutlich beraten. Eine Lösung könnte sein, dass der Präsident tatsächlich ein Zivilist wird, sein Stellvertreter aber, der unter anderem für Sicherheit und Verteidigung zuständig ist, ein Militär.
KNA: Was ist mit der Regierung und dem sogenannten Übergangsrat?
Bagopha: Auch hier ließe sich möglicherweise die Macht zwischen Militär- und Zivilvertretern aufteilen. So hätten beide Seiten, ECOWAS und die Putschisten in Mali, ihr Gesicht gewahrt. Bislang ist aber lediglich bekannt, dass die Regierung aus 25 Mitgliedern und einem Regierungschef und der Übergangsrat aus 121 Personen bestehen soll. Wer für die Auswahl zuständig sein wird, ist, wie so vieles, noch nicht geklärt.
KNA: Im Norden Malis ist die teilweise von den Tuareg unterstützte "Nationale Bewegung zur Befreiung des Azawad" MNLA aktiv, dazu terrorisieren islamistische Gruppen die Bevölkerung - gibt es von dort Reaktionen auf die Verhandlungen in Bamako?
Bagopha: Zwischen der MNLA und den Putschisten gab es Gespräche, die aber ergebnislos abgebrochen wurden. Das zeigt, wie groß das Misstrauen ist. Von den islamistischen Gruppierungen war bislang nichts zu hören. Bezeichnend ist aber auch, dass die einflussreiche Protestbewegung M5-RFP, deren Kopf der einflussreiche Imam Mahmoud Dicko ist, die Einigung zur Bildung einer Übergangsregierung bereits abgelehnt hat.
KNA: Welche Rolle spielen die übrigen religiösen Vertreter bei den Verhandlungen?
Bagopha: Die religiösen Vertreter bleiben eine Quelle der Hoffnung in Mali. Aber sie agieren zunehmend im Hintergrund, weder der Hohe Islamrat noch die katholischen Bischöfe haben sich beispielsweise in den vergangenen Tagen öffentlich geäußert.
KNA: Warum?
Bagopha: Weil sie wie viele andere in Mali zunehmend besorgt und frustriert sind. Natürlich gibt es Hoffnung auf einen Neuanfang. Aber nach 1968, 1991 und 2012 ist das nun der vierte Putsch in Mali. Die Abstände werden kürzer. Die Menschen empfinden das als Versagen und gelangen zusehends zu der Auffassung: So kommen wir nicht voran.
KNA: Was bedeutet die unklare politische Lage für die Arbeit der Hilfsorganisationen?
Bagopha: Wir können weiter arbeiten. Aber wir merken, dass der Staat nicht da ist. Es fehlt an Ansprechpartnern. Aktuell stehen im Zentrum und im Nordosten Malis Zehntausende wegen Überschwemmungen vor den Trümmern ihrer Existenz. Diese Menschen brauchen dringend Unterstützung. Ein chronisches Problem bleibt die Unsicherheit im Land. Die Zivilbevölkerung hat Angst vor Überfällen und Entführungen durch bewaffnete Gruppen. Insofern hoffen sie alle auf eine rasche Lösung der politischen Krise.