DOMRADIO.DE: Kann man Sie als “Ghostwriter des Papstes“ bezeichnen?
Austen Ivereigh (Co-Autor des Papst-Buches "Wage zu träumen!"): Absolut nicht, obwohl eine Agentur mich tatsächlich so genannt hat. Sie haben geschlossen, dass ich beim Schreiben des Buches eine große Rolle gespielt habe, und deshalb der “Ghostwriter“ bin. Ein “Ghostwriter“ ist aber jemand, der im Namen von jemand anderem schreibt, anstelle des angeblichen Autors, der gar nicht involviert ist. Bei unserem Buch war Papst Franziskus aber sehr wohl involviert.
Es ist sehr schwer zu beschreiben, wie unsere Zusammenarbeit hier aussah. Im Endeffekt ist es aber eine Kollaboration. Man könnte mich also eher als Co-Autor bezeichnen. Ich würde sagen, ich habe den Überbau geliefert, die Struktur des Buches, in die der Papst dann seine Ideen eingebaut hat. Aber jedes Wort im Buch stammt von Franziskus. Entweder aus dem, was er mir erzählt hat, oder aus den Dokumenten, die er zur Verfügung gestellt hat. Ich habe bei der Umsetzung geholfen, aber es ist sein Buch, im wahrsten Sinne des Wortes.
DOMRADIO.DE: Wie sieht denn so eine Zusammenarbeit mit dem Papst konkret aus? In der Pandemie kann man ja nicht gemeinsam am Schreibtisch sitzen.
Ivereigh: Ganz genau. Das ist schwierig. Deshalb sagen wir auch, das Buch hat nicht nur die Pandemie als Thema, sondern ist auch eine Frucht der Pandemie. Es konnte nur auf diese Weise entstehen, weil wir eben durch die Pandemie nicht zusammensitzen konnten. Weder er noch ich hätten aber auch Interesse an einem klassischen Interview gehabt.
Das Genre der “Papst-Bücher“ ist nicht sehr alt. Johannes Paul II. hat damit angefangen, oder denken Sie an die Bücher von Benedikt XVI. mit Peter Seewald, oder die zwei Bücher, die es vorher von Papst Franziskus gab. Alle diese Bücher hatten eine Art Zwischenmann, der dem Papst Fragen gestellt hat, über alle möglichen Themen. Der Papst hat dann geantwortet und daraus ist ein Buch entstanden. Franziskus und ich wollten aber etwas ganz anderes, ein sehr fokussiertes Buch für diesen Moment der Krise, diesen Moment der Zeitgeschichte. Das wäre in einem Interview so nicht möglich gewesen.
DOMRADIO.DE: Lief das dann alles per Telefon? Per Post?
Ivereigh: Wir haben ein paar Mal telefoniert, gar nicht so häufig wirklich. Den meisten Kontakt hatten wir schriftlich. Ich habe ihn per Email kontaktiert, und er hat dann per handschriftlichem Brief geantwortet, der eingescannt und zurückgeschickt wurde. Wenn es um meine Fragen ging, hat er seine Gedanken aber auch als Sprachnotiz aufgezeichnet, die mir sein Sekretär dann als Audiodatei gemailt hat. Das waren teils sehr unterhaltsame Nachrichten. Er hat einmal gesagt: “Ich rede jetzt einfach drauf los, Sie können dann sehen, was Sie davon verwenden. Wenn Sie denken, der Papst ist ein verwirrter alter Mann, können Sie das auch alles ignorieren“.
Er hat mir also quasi die Rolle des Redakteurs gegeben. “Hier ist mein Material, schauen Sie, was Sie daraus machen können.“ Das ist auch eine sehr interessante Erfahrung, mit jemandem zu arbeiten, der einem komplett vertraut. Ich war überwältigt von diesem Vertrauen des Papstes, sehr bewegt, von der Freiheit, die er mir gegeben hat. “Sie sind der Autor, schreiben Sie, was Sie für richtig halten.“
DOMRADIO.DE: Vertrauen braucht es da sicher, da Franziskus sehr persönliche Geschichten erzählt. Geschichten von seiner Lungenkrankheit, oder seiner Einsamkeit beim Auslandsstudium in Deutschland. Ist es schwierig, dass sich ein Gesprächspartner so öffnet, wenn man gar nicht im direkten Gespräch reden kann?
Ivereigh: Das stimmt. Gerade dieser Abschmitt mit seinen “persönlichen Covids“, wie er das nennt, war ein Bereich, bei dem ich ziemlich nachhaken musste. Franziskus redet nicht gerne über sich selbst. Er hat sich entschuldigt, und gesagt, dass er da von Natur aus eher zurückhaltend ist. Was ja irgendwie auch überrascht, viele halten ihn ja für einen so großen, extrovertierten Charakter. Aber in Wahrheit behält er ziemlich viel für sich. Er trägt sein Herz nicht auf der Zunge.
Ich habe ihm die Lage aber erklärt, und das hat er auch verstanden. Der Tenor des Buches ist, wie Prüfungen und Leiden im Leben auch zu neuem Leben, einem neuen Weg für die Zukunft, führen kann. Erst hat er dafür Beispiele aus der Bibel und aus der Geschichte angebracht. Ich habe aber gesagt: “Wir müssen auch was aus Ihrem Leben einbauen.“ Ich hatte die drei Geschichten, die er einbauen würde, schon im Kopf, weil die ja bekannt sind. Was aber neu ist, dass er darüber in einer so persönlichen Art gesprochen hat, wie noch nie zuvor. Ich weiß noch, wie ich mir diese Aufnahmen das erste Mal angehört habe, und tief bewegt war, von dem, was er da mit mir und mit dem Leser geteilt hat. Das heißt aber nicht, dass ich auch da nicht auch ein bisschen nachhaken musste.
DOMRADIO.DE: Das stelle ich mir ziemlich schwierig vor. Einerseits arbeiten Sie für das Buch mit ihm zusammen, andererseits denkt man doch sicher auch: “Ich kann dem Papst doch nicht vorschreiben, was er tun und sagen soll.“
Ivereigh: Das habe ich auch nie gemacht. Ich habe ihm einfach Fragen gestellt. Einige hat er beantwortet, andere auch nicht. Bei manchen hat er auch etwas komplett anderes gesagt, als ich erwartet hätte. Irgendwie ist das aber auch wieder die Dynamik dieses Buches. Deswegen sage ich auch, dies ist kein Interviewbuch. Im Interview versucht man dem Gesprächspartner Sachen herauszulocken, die Schlagzeilen bringen. In unserem Fall ging es eher um ein Buch, dass eine Art "Liebesbrief an die Menschheit" werden sollte.
Deshalb habe ich mir auch gar keine Gedanken gemacht, ob seine Geschichten Schlagzeilen bringen. Natürlich hat das Buch Schlagzeilen gemacht, weil viele Neuigkeiten drin stecken. Sein Kommentar zu den Uiguren zum Beispiel, die er als verfolgte Minderheit bezeichnet. Als er mir sowas erzählte, war mir klar, das schlägt Wellen. Aber das war nicht das Ziel meiner Arbeit. Ich habe hier nicht journalistisch gedacht, nicht an Geschichten und Schlagzeilen. Meine Frage war eher: Funktioniert das als Narrativ? Funktioniert das Buch als eine Einladung zur Umkehr, die er ja ausspricht. Franziskus lädt uns ein, darüber nachzudenken, in dieser Krise, dieser dunklen Zeit, in der wir stecken. “Lasst uns unsere Welt betrachten und unser Handeln ändern!“
Mir war es wichtig, diese Intimität auch dem Leser zu vermitteln. Die Einladung auf einen Weg, auf den uns dieser außergewöhnliche Mensch mitnehmen will.
Das Gespräch führte Renardo Schlegelmilch.
Zur Info: Das Buch "Wage zu träumen!" von Papst Franziskus ist im Kösel Verlag erschienen und kostet 20,00 EUR.